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Ágnes Ziegler
Die Schwarze Kirche zu Kronstadt – Reformation und Wiederaufbau. Die Inszenierung der konfessionellen, städtischen und ständischen Identität
(Kunst und Konfession in der Frühen Neuzeit 6), Regensburg 2023, Schnell und Steiner, 432 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7954-3683-4
Rezensiert von Tobias Weger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.10.2025
Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, an einer Führung der Kunsthistorikerin Ágnes Ziegler durch die Paramentensammlung der Schwarzen Kirche im siebenbürgischen Kronstadt (rum. Brașov, ung. Brassó) teilzunehmen. Mit einer Verbindung von souveränem Wissen, Bescheidenheit und geradezu ansteckendem Engagement erläuterte sie die zahlreichen Details dieser außerordentlichen Sammlung von Kirchengewändern in der alten Handelsstadt am Karpatenbogen. Viel von ihrem Enthusiasmus ist auch in diese umfangreiche Forschungsarbeit eingeflossen, die eine deutschsprachige Ausgabe ihrer an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest auf Ungarisch verteidigten Promotionsschrift ist.
Die Autorin rekonstruiert zunächst die bauliche Entwicklung der in der urbanen Topografie bis heute dominanten Hallenkirche. Diese wurde im April 1689 bei einem großen Stadtbrand Kronstadts stark in Mitleidenschaft gezogen und im Anschluss daran mit markanten Veränderungen wiederaufgebaut. Der Schwerpunkt von Zieglers Darstellung liegt auf der Rekonstruktion in den Jahrzehnten nach dieser Katastrophe und der Deutung von Architektur und Innenausstattung als einem mehrfach identitätsstiftenden Kirchenraum.
Die Verfasserin rollt sodann die Geschichte unterschiedlicher Restaurierungen im Laufe des 20. Jahrhunderts auf, die von der ungarischen, dann der rumänischen Denkmalpflege oder von der Kirchengemeinde selbst durchgeführt wurden. Im Streben nach Regotisierung oder nach Behebung statischer oder materialbedingter Defizite kam es zu zahlreichen technischen Unzulänglichkeiten. Ausgehend vom aktuellen Bauzustand leistet Ágnes Ziegler eine genaue kunsthistorische Beschreibung der Schwarzen Kirche. Die Gestaltung der in der Barockzeit wiederaufgebauten Gewölbe in Chor und Kirchenschiff sowie der mit gotisierenden Arkaden versehenen Seitenemporen, die im ursprünglichen spätmittelalterlichen Bau nicht vorhanden waren, bilden dabei zentrale Elemente. Um die unterschiedlichen Zeitschichten verständlicher zu machen, widmet die Autorin der komplexen Baugeschichte breiten Raum. Diese begann in den 1380er Jahren mit der Errichtung des Chors, es folgten das Langhaus und schließlich die südöstliche Vorhalle und die Sakristei.
Auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstands skizziert die Autorin die Durchführung der evangelischen Reformation in Kronstadt ab 1542. Wie in zahlreichen anderen Gotteshäusern in Siebenbürgen war auch die Schwarze Kirche nicht von einem spontanen, schonungslosen „Bildersturm“ betroffen; angebrachter ist es, von einer geplanten Entfernung bestimmter sakraler Gegenstände zu sprechen, die als nicht mehr kompatibel mit dem gewandelten Liturgie- und Religionsverständnis empfunden wurden (156). Gleichwohl erfolgten im Verlauf des 16./17. Jahrhunderts weitere Veränderungen – zu den Erschütterungen der bisherigen Ordnung kamen vermutlich auch die Auswirkungen eines besonders heftigen Erdbebens. Viele dieser nachreformatorischen Modifikationen sind wie die meisten noch aus dem Mittelalter stammenden Artefakte dem bereits erwähnten Brand von 1689 zum Opfer gefallen und lassen sich nur noch aus erhaltenen schriftlichen Quellen sowie infolge von Bauforschungen rekonstruieren. Ohnehin sind bei einer heutigen Inspektion des Kircheninneren auch neugotische Einbauten aus dem 19. Jahrhundert in Betracht zu ziehen.
Die Weltöffentlichkeit ist am 15. April 2019 durch die mediale Vermittlung der brennenden Kathedrale Notre-Dame in Paris schockiert worden. Begrenzte sich die Katastrophe in Paris auf die altehrwürdige Kirche und wurden ungeachtet der massiven Zerstörungen zum Glück keine Menschen in Mitleidenschaft gezogen, so legte der Brand von Kronstadt im April 1689 neben der Schwarzen Kirche einen Großteil der Stadt in Schutt und Asche und hinterließ an die 300 Todesopfer. Sehr anschaulich schildert Ágnes Ziegler nicht nur die Feuerkatastrophe, sondern beleuchtet sie vor dem Hintergrund einer Umbruchzeit, in die die Eingliederung des Fürstentums Siebenbürgen in das Habsburgerreich fiel, die aber auch von Autonomiebestrebungen vieler Ungarn und Szekler gekennzeichnet war. Die Siebenbürger Sachsen besannen sich zu jener Zeit nicht nur auf ihre konfessionelle Gemeinschaft als seit der Reformation lutherische Entität, sondern auch auf die Privilegien, die ihnen ungarische Könige im Mittelalter gewährt hatten. Dieses Selbstbewusstsein erwies sich als stark motivierend für den Wiederaufbau der Schwarzen Kirche. Galt es doch, eine von manchen Zeitgenossen theologisch als „Strafe Gottes“ interpretierte Zerstörung wieder gutzumachen. Der Brand vernichtete die Dachkonstruktion und brachte das Langhausgewölbe zum Einsturz, bald danach auch das Chorgewölbe. Über das Ausmaß der Vernichtung im Kircheninneren existieren keine genauen Angaben.
Reiche Quellen bestehen allerdings zum Wiederaufbau der Kirche, beginnend mit der Erneuerung der Dachkonstruktion, deren Einrichtung auch relativ zeitnah zum Brand die Wiederaufnahme von Gottesdiensten ermöglichte. Viel Raum widmet die Autorin den eigentümlichen Emporen, die im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts unter Bezugnahme auf gotische Bauformen eingebaut worden sind. Sie führt eine Reihe von Vergleichsbauten an, fragt nach Kontinuitäten im Wissen der Steinmetze. Zu deren formalen Vorbildern gehörten offensichtlich auch Bauelemente in orthodoxen Klöstern und profanen ungarischen Adelsbauten, bis hin zur Übereinstimmung einzelner Skulpturen- und Dekorationsdetails, die bisher in der Forschung keine Beachtung erfahren hatten. Die eigentlichen Gewölbe sind in zwei weit auseinanderliegenden Phasen 1728/29 und 1762–1772 eingezogen worden. Dies erklärt auch, weshalb bei den Gewölben im Laufe der Zeit immer mehr Abstand vom ursprünglichen gotischen Erscheinungsbild genommen und stattdessen eine barocke Ästhetik Anwendung gefunden hat. Unter Berufung auf zeitgenössische Autoren interpretiert die Verfasserin diesen Sinneswandel als veränderte Einstellung gegenüber den Habsburgern.
Im nächsten Kapitel rekonstruiert Ágnes Ziegler die Wiederherstellung der Einrichtung, beginnend mit den ausführlich beschriebenen Gestühlen, die ein Spiegel der sozialen Ordnung der städtischen Eliten Kronstadts im 18. Jahrhundert waren. Beim gemalten Bildprogramm konnte die Verfasserin motivische Vorbilder in der Druckgrafik des 18. Jahrhunderts eruieren. Auch die beim Brand vernichtete, vermutlich noch mittelalterliche Kanzel wurde beim Wiederaufbau durch eine barocke Kanzel voller evangelischer Allegorien und Symbole ersetzt sowie ein neuer Hauptaltar geschaffen. Die wohl bekanntesten Ausstattungsstücke sind die heute im Kircheninnern an der Empore angebrachten osmanischen Teppiche. Hier beschreitet die Autorin insofern Neuland, als sie nicht nur nach der Herkunft und dem dekorativen Charakter dieser Textilien fragt, sondern etwa auch ihre unterschiedlichen Funktionen im Kontext der evangelischen Liturgie und der städtischen Selbstdarstellung herausarbeitet. Es ist davon auszugehen, dass die Teppiche nicht immer als fixe Wandbehänge dienten, sondern zu bestimmten Zeiten wie auch der Kirchenschatz in der Sakristei aufbewahrt wurden. Auf diese Weise haben sich auch Teppiche erhalten, die bereits vor 1689 zum Inventar der Schwarzen Kirche gehörten. Auch unter den reichhaltigen Paramenten finden sich zahlreiche Beispiele älterer oder aus erhaltenen Bestandteilen neu zusammengesetzter liturgischer Gewänder. Bei den liturgischen Gefäßen der Kirche lassen sich Reparaturen und Neuinterpretationen älterer Artefakte nachweisen.
Ágnes Ziegler gelingt es in dieser Untersuchung auf überzeugende Art und Weise, die Verschränkung von religiös-theologischen Bedürfnissen und der Verortung der städtischen und der ständischen Gesellschaftsordnung im Kirchenraum nachzuweisen. Der anfängliche Rückgriff auf gotisierende Spielarten, vor allem bei den Emporen, und die spätere Hinwendung zu einer später eher barocken Sprache machen innerhalb der langen Wiederaufbauphase Sinneswandlungen deutlich.
Über kaum eine andere Stadt in Siebenbürgen ist in den vergangenen Jahrhunderten so viel publiziert worden wie über Kronstadt, über kaum ein Einzelgebäude so viel wie über die Schwarze Kirche. Ágnes Zieglers Buch baut auf diesen Untersuchungen auf, erweitert (und korrigiert) sie aber durch eigene Recherchen, insbesondere dank der Auswertung der umfangreichen kirchlichen und staatlichen Archivbestände vor Ort, darunter auch umfangreiche ikonografische Bestände. Ihre kunsthistorischen Erkenntnisse, die auf einer breiten kulturwissenschaftlichen Interpretation beruhen, dokumentiert sie mit Hilfe ausgezeichneter eigener Farbaufnahmen, ergänzt durch Bildmaterial archivischer beziehungsweise anderer Provenienz, mit deren Hilfe sie auch Vergleiche mit anderen Bauwerken anstellt. Auf diese Weise ist ein Werk entstanden, das vielen Ansprüchen gerecht wird: Es setzt einerseits einen neuen, hohen Standard innerhalb der siebenbürgischen Regionalforschung, insbesondere auf dem Gebiet der Kunsthistorie; andererseits liefert es auch nicht auf Siebenbürgen spezialisierten Leserinnen und Lesern grundlegende Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Kunst, konfessioneller Identität, städtischer Repräsentanz und ständischer Selbstdarstellung der Siebenbürger Sachsen im 17. und 18. Jahrhundert. Diese Untersuchung ist eine spannende Fallstudie für die Wertschätzung, aber auch die Reinterpretation eines verlorenen und wiedergefundenen städtischen kulturellen Erbes. Kurzum: Ágnes Ziegler hat ein Buch verfasst, nach dessen Lektüre selbst viele eingefleischte Kronstädter ein ikonisches Bauwerk ihrer Stadt ganz neu verstehen werden, das es aber auch verdient, weit über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus rezipiert zu werden. Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis dokumentiert den enormen Recherchefleiß, der diesem Buch zugrunde liegt. Ein Orts- und Personenregister erlaubt eine rasche Orientierung im Text durch gezielte Zugriffe.