Aktuelle Rezensionen
Patrick Wielowiejski
Rechtspopulismus und Homosexualität: Eine Ethnografie der Feindschaft
Frankfurt am Main 2024, Campus, 398 Seiten, ISBN 978-3-593-51960-9
Rezensiert von Stefan Wellgraf
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.10.2025
Patrick Wielowiejski stellt sich in seiner kürzlich im Campus-Verlag veröffentlichten Dissertation die Frage, welche Rolle Homosexualität im politischen Imaginären der AfD spielt. Er widerspricht dabei der gängigen Annahme, Homosexualität sei natürlicherweise auf der politisch linken Seite verortet. Vielmehr zeigt er am Beispiel einer schwulen Gruppierung innerhalb der AfD, welche Versuche gegenwärtig unternommen werden, um eine bestimmte Vorstellung von Homosexualität in das rechte politische Projekt zu integrieren. Allerdings zeigt sich im Verlauf der Studie auch, dass die mühsam gebauten Brücken teilweise noch nicht sehr tragfähig sind und möglicherweise auch wieder einstürzen könnten.
Die einzelnen Aspekte dieser Allianzbildung werden detailliert in der Auseinandersetzung mit dem Feldmaterial herausgearbeitet und hegemonietheoretisch als eine Arbeit an Äquivalenzketten gedeutet. Dazu zählen unter anderem die Abgrenzung von der als homophob verorteten „extremen“ Rechten (in diesem Fall der NPD), mit der zugleich unterstrichen werden kann, dass man selbst nicht „rechtsextrem“ sei; der antimuslimische Rassismus, mit dessen Hilfe sich die AfD als „einzige echte Schutzmacht für Schwule und Lesben“ in Deutschland (211) inszenieren kann; die Unterscheidung zwischen identitär markierten Homosexuellen einerseits und einer gefährlichen, antisemitisch konnotierten „Gender-Ideologie“ andererseits, mit deren Hilfe ein weiterer Feind markiert und zugleich an den in der AfD dominanten identitären Essenzialismus angeschlossen werden kann; sowie ein aufreizender, sich als Provokation des politischen Mainstreams inszenierender politischer Stil, wobei über das Selbstverständnis als „Schmuddelkinder“ (325 ff.) eine Verbindung zwischen Rechten und Schulen hergestellt wird. Anhand solcher und anderer ideologischer Manöver bietet die Studie einen tiefen Einblick in den Arbeitsraum des Rechtspopulismus, zeigt auf, wie dieser sich wandelt und dabei mehrheitsfähig zu werden versucht. Der Umgang mit Homosexualität ist dabei keineswegs ein Randthema, sondern erweist sich in diesem Buch als passender Schlüssel, um die Tür zu einem besseren Verständnis gegenwärtiger rechter Politik aufzuschließen.
Wielowiejski ist eine vorbildliche, hervorragend strukturierte und souverän geschriebene Studie über die Abgründe des gegenwärtigen Rechtspopulismus gelungen. Der Autor versteht diese als eine „Ethnografie der Feindschaft“ – so auch der Untertitel des Buches. Einerseits möchte er damit den politischen Feind, denn als solchen versteht er die AfD, bekämpfen, zugleich möchte er sich jedoch nicht der politischen Freund-Feind-Logik unterwerfen, die er mit Bezug auf Carl Schmitt als einen Wesenskern der Politik von Rechtsaußen ausmacht. Nicht nur im entsprechenden Methodenkapitel, sondern über die ganze Studie hinweg wird diese Ambivalenz verhandelt. Es ist faszinierend nachzuverfolgen, wie der Autor nicht einfach nur Freund-Feindmarkierungen abstrakt nachvollzieht, sondern durch diese in das Feld hineingezogen wird und an sich selbst erschrocken entsprechende Tendenzen wahrnimmt. Seine Ethnografie ist, wie er selbst bemerkt, von folgendem Widerspruch durchzogen: „Je besser sie gelingt, desto mehr verstrickt sie sich.“ (356)
Der Autor versucht mithilfe einer an Chantal Mouffe orientierten Konzeption des strategischen Agonismus produktiv mit diesem grundlegenden Dilemma umzugehen. Demnach soll das Gegenüber nicht als Feind vernichtet, sondern als legitimer Gegner anerkannt werden. Allerdings disqualifizieren sich aus Sicht des Autors große Teile der AfD als legitime Gegner, als Antagonisten der liberalen Demokratie würde er sie am liebsten ausgelöscht sehen. Wielowiejskis Agonismus ist also lediglich ein „strategischer“, eine für die Feldforschung eingesetzte Forschungshaltung, ähnlich wie der aus den Postcolonial Studies bekannte „strategische Essenzialismus“. Die Beforschten sind auch entsprechend verblüfft, als er ihnen nach Beendigung der Feldforschung offenbart, nun wieder umstandslos in den Modus der Feindschaft zu wechseln. Auch wenn dieser methodische Zugang sowohl einige forschungspraktische als auch forschungsethische Probleme mit sich bringt und sicher nicht für alle rechten Milieus geeignet ist (etwa dort, wo Meinungsverschiedenheiten gewaltsam ausgetragen werden), wird die derzeit heiß laufende Methodendiskussion über die Frage nach der „richtigen“ Forschung in rechten Feldern um einen interessanten neuen Vorschlag bereichert.
Wielowiejski, der nach eigenen Angaben vor seiner Forschung noch keinen persönlichen Kontakt zu Rechten gehabt hatte, bewegte sich innerhalb der AfD vor allem in einer Gruppe schwuler Männer, die größtenteils zum Höcke-Flügel zählten, also einem ins Völkische driftenden und teilweise vom Nationalsozialismus faszinierten Lager zugehörten. Mit seinem strategischen Agonismus scheute der Autor angesichts dieser speziellen Klientel auch vor inhaltlichen Konfrontationen nicht zurück, diese gehörten zu seiner Herangehensweise. Seine Gesprächspartner schienen genau diese Auseinandersetzung zu genießen, in dieser gemeinsamen Auseinandersetzung konnten beide Seiten ihre Waffen schärfen. Mehr noch: Die dadurch bedingten politischen Reibungen und provokanten Rededuelle hatten im Kontext einer schwulen Männergruppe auch eine flirthafte Komponente. Der Ethnograf wurde von den AfD-Männern auch deshalb aufgenommen, da er sich selbst als schwul zu erkennen gab und dadurch als „Frischfleisch“ (40) betrachtet wurde. So stieß er in den Wohnungen der Interviewten nicht nur auf Nazi-Ästhetik, sondern bekam auch Porno-Bilder und Sex-Spielzeug vorgeführt. Auf diese Weise geriet Wielowiejski in eine Reihe von heiklen und zwiespältigen Situationen – auf einem hochrangigen Treffen der AfD auf Fraktionsebene nahm er beispielsweise unter der Bezeichnung „Mitarbeiter“ teil (134). Es ist bewundernswert, wie er dabei die Contenance behielt, wie reflektiert und produktiv er mit diesen beträchtlichen Herausforderungen seiner Feldforschung umging. Das Buch ist deshalb nicht nur empirisch und theoretisch aufschlussreich, sondern auch spannend zu lesen.
Die Perspektiven der Europäischen Ethnologie auf das Forschungsfeld werden dabei stets mitgedacht, etwa wenn sich zeigt, dass die ideologischen Manöver in der Praxis oft nur unzureichend gelingen oder Akteure ihre eigenen Agenden konterkarieren. Das Buch gehört somit nicht nur zu den besten deutschsprachigen Ethnografien rechter Bewegungen, es liefert auch einen wegweisenden Beitrag zu der Frage, auf welche Weise die Europäische Ethnologie/Empirische Kulturwissenschaft den Rechtspopulismus erforschen soll und wie sich unsere Perspektiven von anderen Disziplinen unterscheiden.