Aktuelle Rezensionen
Peter Hersche
Kirchen als Gemeinschaftswerk. Zu den wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen frühneuzeitlichen Sakralbaus
Basel 2022, Schwabe, 272 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7965-4506-1
Rezensiert von Benedikt Brunner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.10.2025
Der Berner Historiker Peter Hersche geht in seiner kürzlich erschienenen Studie einer gleichermaßen faszinierenden wie anspruchsvollen Frage nach: Wie wurden Kirchen in der Frühen Neuzeit gebaut? Er verbindet dabei sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Perspektiven mit jenen der Kunst- und Architekturgeschichte. Die These seines interessanten Buches ist titelgebend: Kirchen zu bauen war von der Barockzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Gemeinschaftswerk, das viele unterschiedliche Gruppen zusammenbrachte. In seiner Einleitung (Kap. 1) legt er zunächst seine Quellenbasis dar: Guidenliteratur und Topografien, in denen er die wesentlichen Daten, die er für seine Untersuchung braucht, zusammengefasst sieht. Geografisch beschränkt sich Hersche auf die Schweiz. Er referiert in der Einleitung dann noch über den „gewöhnlichen“ Sakralbau in Europa sowie ausführlicher über die Verteilung und Dichte barocker Kirchen in der Schweiz.
Das zweite Kapitel widmet sich dann den Voraussetzungen des Bauens. Nach einem Ausflug in die mittelalterlichen Kontexte erfahren wir einiges über die religions- und kulturgeschichtlichen Grundlagen. Wichtige Impulse seien von der Gegenreformation ausgegangen, aber dadurch lasse sich das Phänomen insgesamt nicht erklären. Und gleichwohl sieht er in den Implikationen der katholischen Reform einen wichtigen Motor für die architektonischen Entwicklungen, was sich insbesondere am Beispiel von Karl Borromäus (1538–1584) zeigen lasse. Hersche zeigt aber auch, wie naturräumliche Gegebenheiten, politisch-gesellschaftliche Verhältnisse, die wirtschaftliche Situation vor Ort und die rechtlichen Normen Einfluss auf die Bauentscheidungen hatten. Neben den eher oft schwer greifbaren Einflussfaktoren erkennt der Autor fünf Anlässe, die zu Neubauten, insbesondere von Pfarrkirchen, führen konnten: „1. Willentliche Zerstörung durch Krieg, 2. Unwillentliche Zerstörung durch Brände und verschiedene Naturkatastrophen, 3. Altersbedingte Baufälligkeit, 4. Platzmangel infolge Bevölkerungszuwachs, 5. Prestige- und Konkurrenzdenken“ (103).
Das Kernstück der Monografie bildet das dritte Kapitel, in welchem Hersche die einzelnen Schritte der Bauvorhaben systematisch zusammenführt. Begonnen mit der Organisation, den Kosten des Kirchenbaus und seine Finanzierungsmöglichkeiten und die damit verbundenen Herausforderungen über die Bedeutung der Stiftungen hin zu den Trägerschichten und dem Problem der Fronarbeit, erhält der Leser hier einen umfassenden Einblick, wie Kirchen in dieser Zeit gebaut worden sind. Er kann dabei deutlich machen, dass ohne den „unbändigen Willen zum Bauen auch von „unten“ und die zur Realisierung erbrachten außerordentlichen Leistungen der beteiligten Gemeindeglieder in Geld, Material und Arbeit“ (239) die meisten Bauvorhaben nicht hätten realisiert werden können. In der Aufdeckung dieser Perspektive und dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Kräfte von „oben“ und „unten“ liegt eine der großen Stärken dieses Buches, wobei die zweifelsohne auch auftretenden Konflikte noch stärker hätten in den Blick genommen werden können. Etwas irritierend ist die Kontrastierung der damaligen gemeinschaftlichen Vorhaben gegenüber dem in der heutigen Gesellschaft „von der Staatsmacht kaum eingeschränkten Individualismus“ (255) der sich noch weiter ausbreite. Ob man im kirchlichen Bauen der Barockzeit wirklich ein Antidot für die Auswüchse der Moderne finden mag, darf wohl angezweifelt werden.