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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Katrin Weber/Bezirk Mittelfranken (Hg.)

Heimat im Gepäck. Vertriebene und ihre Trachten

(Schriftenreihe der Trachtenforschungs- und -beratungsstelle des Bezirks Mittelfranken 12), München 2023, Volk, 336 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-86222-426-5


Rezensiert von Melanie Burgemeister
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.10.2025

Der vorliegende Band versammelt umfangreiche Fotostrecken und begleitende Aufsätze zum Themenfeld „Vertriebene und ihre Trachten“ mit einem Fokus auf Personen, die in der Folge des Zweiten Weltkrieges und bis in die 1990er Jahre nach Mittelfranken kamen. Aufbauend auf den Antworten einer Fragebogensammlung fanden sich Interviewpartner, die zugleich als Fotomodelle mit eigener Kleidung für den Ba abgelichtet wurden. Sie zeigen das lebendige Bild sich stetig verändernder Tracht, deren Ursprung in zahlreichen ehemals deutschsprachigen Gebieten liegt. Sie wurden im Freilichtmuseum Bad Windsheim von Walther Appelt fotografiert. Die Existenz dieses Buches ist dabei ein Glücksfall, da aufgrund der Covid-Pandemie die ursprünglich als Ausstellung geplante Sammlung in ein gedrucktes Format umgewandelt wurde. Die Leiterin der Trachtenforschungs- und -beratungsstelle des Bezirks Mittelfranken, Katrin Weber, hat die Fotografien mit zahlreichen Beiträgen zur Herkunft und Geschichte der Trachten für diesen Sammelband aufbereitet.

Ein solches Buch kann schnell Gefahr laufen, zu einer emotional aufgeladenen Erzählung von Vertreibung zu werden. Dass dies hier bewusst vermieden wurde, wird bereits deutlich in den drei äußerst lesenswerten Einführungstexten von Katrin Weber zum Begriffsfeld Flüchtling – Vertriebener – Spätaussiedler, zur Entstehung des Buches und der vorangegangenen Forschung sowie zum Quellenwert von Erinnerungsstrukturen bei Zeitzeugenbefragungen. Man erkennt an Webers Ausführungen die nötige Sensibilität und die kritische Reflexion des Themas, das oftmals bei den Betroffenen hoch emotional aufgeladen ist. Zugleich werden interessante Denkanstöße gegeben. Sowohl sprachlich als auch wissenschaftlich ist der Band um eine neutrale Haltung und kritische Einordnung der gezeigten Kleidungsstücke bemüht und stellt damit eine gelungene Forschungsgrundlage dar. Auch die Frage nach dem Zustand der Trachten hinsichtlich einer vermeintlichen Originalität oder Abänderung wird gekonnt gelöst: Im Fokus stehen Trachten, wie sie benutzt und aktiv getragen werden, was auch Adaptionen und Wandlungen einschließt. Gerade diese Veränderungen erlauben eine Annäherung an die Trägerinnen und Träger und die Bedeutung, die die Kleidung für sie hat.

Inhaltlich ist der Band nach den Herkunftsregionen der gezeigten Trachten beziehungsweise ihren Trägerinnen und Trägern untergliedert: Sudetenland, Wischauer Sprachinsel, Egerland, Siebenbürger Sachsen, Ungarndeutsche, Banater Schwaben, Schlesien, Ostpreußen und Pommern. In jedem Kapitel findet sich jeweils ein Aufsatz, der die Geschichte der Region und die dortige Kleidung vorstellt. Auf die Aufsätze folgt zumeist eine Fotostrecke mit ganzseitigen, farbigen Ganzkörperportraits von Vorder- und Rückseite und kurzen Beschreibungen. Hierauf sind Männer und Frauen in ihrer eigenen Tracht zu sehen, die einen Eindruck der bunten, vielfältigen und sehr unterschiedlichen Ausgestaltung der Kleidung vermitteln. Ein Text beschreibt knapp die gezeigte Kleidung. Für die Ungarndeutschen ließen sich leider keine Trachtenträgerinnen und Trachtenträger finden und die Fotostrecke fehlt.

Die Texte im Abschnitt Sudentenland bilden eine weitergehende Durchdringung des Themas. So widmet sich Matthias Stickler der „Entstehung und Programmatik der Landsmannschaften“ der Vertriebenen. Christina Meinusch spürt der Frage nach, wie sich Heimat in Textilien manifestieren kann. Lilia Antipow arbeitet heraus, welche Konzepte von Zugehörigkeit und Musealisierung im Zuge des sozialen Wandels im Umgang mit Tracht zum Tragen kommen und wie wichtig eine historisch differenzierte Betrachtung ist.

Die Beiträge mit Regionalbezug gehen auf Aspekte der Geschichte und der Bedeutung der Trachten ein. So beschreibt Katrin Weber beispielsweise den „Wildwuchs und Volkstumskampf“ (115) der 1930er Jahre, als die Egerländer Tracht zum Politikum wurde, oder das Verhältnis von Tracht und Sprache im Banat.

Der Band ist mit seinen ganzseitigen Abbildungen ein visuelles Zeugnis für die Vielfalt und Farbigkeit der Trachten Vertriebener. Vor der einheitlichen Kulisse einer weißen Wand in einem historischen Fachwerkgebäude, das an den Rändern und dem erdigen Boden mit ins Bild ragt, erscheinen die Trachten zugleich ihrem Ursprung entrückt und würdig in Szene gesetzt. Die Mischung aus musealer Präsentation einerseits und Fokussierung auf die tatsächlichen Trägerinnen und Träger der Kleidung und ihren Umgang mit den Stücken andererseits vermittelt ein facettenreiches, gelungenes Bild. Es ist eine Freude durch den Band zu blättern und über erste Eindrücke zu einem tieferen Verständnis der Kleidung geführt zu werden. Die Aufteilung nach Regionen ist hierbei ein wichtiges Strukturmerkmal, sowohl für die (ehemalige) regionale Verortung als auch die Identitätsdiskurse, die sich an die Trachten binden. Die betonte Sachlichkeit und textliche Einordnung ermöglicht damit einen gelungenen Einstieg in die Beschäftigung mit regionaler Tracht und wird Trachteninteressierten aber auch allgemein allen Kleidungsforscherinnen und Kleidungsforschern ans Herz gelegt.