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Aktuelle Rezensionen


Luise Stark/Irmela Einecke/Pia May/Nils Waldmann (Hg.)

Was bleibt? Was kommt? Nachhaltigkeiten kulturwissenschaftlich erforschen

(Würzburger Studien zur europäischen Ethnologie 16), Würzburg 2023, Universitätsbibliothek, Online Ressource


Rezensiert von Anna Fürstová
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.10.2025

Zwei kurze, fast schon philosophische Fragen nach dem Vergehen, Bleiben und Kommen betiteln den Band der Studentinnen und Studenten der Europäischen Ethnologie an der Universität Würzburg: „Was bleibt? Was kommt?“ In zwölf Beiträgen stellen sie sich der Herausforderung, wie man Nachhaltigkeiten kulturwissenschaftlich erforschen kann. Die Lehrstuhlinhaberin Michaela Fenske fasst im Vorwort den Fokus des Werkes wie folgt zusammen: „Was Nachhaltigkeit in den Multispezies-Gemeinschaften dieser Erde bedeutet, wie derzeitige Praktiken und Narrative aussehen, was Aufgabe der Empirischen Kulturwissenschaft im interdisziplinären Konzert sein kann und sein sollte, welche Möglichkeiten dieses Fach im Besonderen zur Gestaltung gesellschaftlicher Transformation beizutragen hat, darüber ist in diesem Band Wesentliches zu lesen.“ (5)

Der vorliegende Band ist im Rahmen der 34. Studierendentagung der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft „Was bleibt… Was kommt… − Umwelten gestalten und erforschen“ entstanden, die vom 26.5.2022 bis 29.5.2022 in Würzburg stattfand.

Die Fülle wissenschaftlicher Veröffentlichungen und populärer Artikel über Nachhaltigkeit und die Klimakrise spiegeln das Interesse von Gesellschaft und Wissenschaft an einem naturschonenden und verantwortungsvollen Lebensstil wider. Dass das Thema auch für Studierende von besonderem Interesse ist, zeigen die vorliegenden Beiträge die aus Forschungsprojekten im Rahmen von Bachelor- oder Masterarbeiten hervorgegangen sind. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz des Ethnologen und Stadtforschers Peter Loschke zur (Neu-)Definition des Begriffs Nachhaltigkeit.

In der Einleitung stellen Irmela Einecke und Luise Stark knapp alle Artikel und ihre Autorinnen und Autoren vor. Bei den Themen fällt auf, dass mehrere der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der 2015 verabschiedeten „Agenda 30“ in den Band nicht aufgenommen wurden. So fehlen zum Beispiel Beiträge zu erklärten Zielen wie Bekämpfung von Armut, Gleichstellung von Frauen und Männern oder bezahlbare und saubere Energie. Die Themenbreite reicht hier von der Erforschung der alltäglichen Praktiken, die man selbst als nachhaltig wahrnimmt, und ihrer Aushandlungsprozesse, über auditive Wissensvermittlungen in Museen, die Zukunft regionaler Landwirtschaft, Multispezies-Beziehungen, zum Beispiel zwischen Menschen und Pflanzen, bis zu zwei Beiträgen, die das Thema Tod und den Wandel des Umgangs mit ihm unter Nachhaltigkeitsaspekten aufgreifen und somit die Suche nach dem unvermeidbar Bleibenden und Kommenden abschließen.

Diese letzten beiden Texte öffnen ein wichtiges Themenfeld im Umweltdiskurs, das weniger Aufmerksamkeit bekommt, als es verdient. In „Was bleibt… was geht? Nachhaltigkeit über den Tod hinaus“ fragt Jana Paulina Lobe nach den Möglichkeiten und Grenzen nachhaltiger Formen des Bestattungswesens und bündelt damit thematisch alle Titelfragen. Neben der traditionellen Erdbestattung gibt es noch andere alternative Methoden für den Umgang mit dem Körper nach dem Tod. So können wir beispielsweise nach der Einäscherung auf den Grund der Nord- oder Ostsee sinken oder an den Wurzeln eines Baumes ruhen. Diese Bestattungsmethoden hinterlassen im Allgemeinen weniger Abfall und nehmen kaum Platz in Anspruch. Doch auch diese scheinbar umweltfreundlicheren Möglichkeiten des Begrabens sind nicht ganz unproblematisch. Zumindest die Einäscherung der Leichname bleibt weiter erforderlich und hinterlässt Überreste, wie Zahnfüllungen oder künstliche Gelenke. Hinzu kommt, dass in weiten Teilen Deutschlands Sargpflicht herrscht. So entstehen viele Särge nur, um mitverbrannt zu werden. Ebenfalls Gegenstand dieses Beitrags sind die alternativen Beisetzungsformen wie Auflösung im Wasser, Gefriertrocknung, Kompostierung usw. Obwohl die Forschungsphase bei Redaktionsschluss von der Autorin noch nicht abgeschlossen war, verspricht die skizzierte Arbeit durch qualitative Interviews, Medien- und Bildanalyse von Internetseiten neue Einsichten in das Nachdenken über und den Umgang mit einer so intimen Lebensphase, wie es das Sterben zweifelsohne ist.

In weiteren Beiträgen lässt sich die starke Betonung eines unvermeidbaren Wandels – des Klimas, gesellschaftlicher Werte– wiederfinden. So handelt die Arbeit von Jasmin Petrowski von den alltäglichen Praktiken und dem Ist-Zustand in Bezug auf die Klimakrise. In dem gut strukturierten und argumentativ überzeugenden Beitrag lässt sie zwei Gewährspersonen zu Wort kommen. Hier spielt das Spannungsfeld zwischen Konsum und Nachhaltigkeit, Leben im Überfluss und im Verzicht insbesondere in den Bereichen Nahrung, Wohnen, Mobilität, Kleidung und Dienstleistungen die Hauptrolle. So wird der Kauf von Bio, Fairtrade und/oder lokalen Produkten, das Einkaufen in Secondhand-Läden, das Nicht-Fliegen und vieles mehr als politisches Handeln verstanden, das von den Befragten moralisch gedeutet wird. Während für die beiden Gewährspersonen das Leben mit bestimmten (Selbst-)Einschränkungen unter dem Motto „zu erhalten, nicht zu zerstören“ (32) selbstverständlich ist, handelt es sich bei diesem reflektierten Verhandeln eher um die Ausnahme. Hier könnten weitere Forschungsarbeiten wichtige Erkenntnisse liefern.

Im Großen und Ganzen bietet der Band eine nützliche, informationsreiche Übersicht, wie selbständige Forschungsprojekte zum Thema Nachhaltigkeit in den Kulturwissenschaften aussehen können; gleichzeitig liefert er wertvolle Impulse für andere Studierende. In Hinblick auf den Titel des Tagungsbandes würde man sich bei einigen Beiträgen etwas mehr Relevanz zu und Verknüpfungspunkte mit dem eigentlichen Thema – Nachhaltigkeit – wünschen.

Studierende haben oft die Fähigkeit den Finger am Puls der Zeit zu haben und für gesellschaftskritische Prozesse sensitiv zu sein. Dieser Tagungsband ist ein gutes Beispiel dafür.