Aktuelle Rezensionen
Dörte Kaufmann/Sabine Klapp/Bernd Leidig (Hg.)
Von St. Maria Magdalena zur Erkenbert-Ruine. 900 Jahre Grundsteinlegung für das Augustinerchorherrenstift Groß-Frankenthal
Frankenthal 2023, Schnell & Steiner, 159 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Gabriele Schlütter-Schindler
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 21.10.2025
Der vorliegende Tagungsband führt die anläßlich des Kulturjahres der Stadt Frankenthal 2019 erarbeiteten Vorträge zusammen, die sich in der Hauptsache mit Gründung, Entwicklung und Untergang des Augustinerchorherrenstiftes St. Maria Magdalena befassen, dessen Überreste unter der Bezeichnung Erkenbert-Ruine eine gewisse Popularität genießen.
Der erste Beitrag von Sabine Klapp (S. 14-35) beschreibt die Gründungssituation, die nach einer spätmittelalterlichen Überlieferung den Wormser Ministerialen Erkenbert nennt, der 1119 auf dem Grund seines ererbten Dorfes Frankenthal mit der Errichtung einer Kirche und den notwenigen Konvents- und Wirtschaftsgebäuden begann. 1125 bestätigte Bischof Buggo von Worms die dem Hochstift übergebene Gründung, die von Kanonikern der Regel des Hl. Augustinus besetzt wurde. Groß-Frankenthal stellte damit den ersten reformierten Chorherrenkonvent in der Diözese Worms. Interessant sind die Überlegungen der Verfasserin zur Wahl dieser Lebensform und zur Herkunft des Gründers aus einer ritterlich geprägten Welt (S. 23), die Erkenbert wohl nicht gänzlich aufgab. Er lebte in einer Verbindung mit der Magd Richlind, die er während einer schweren Erkrankung heiratete und damit seine Söhne Wolfram und Kuno legitimierte. Seinen weltlichen Erfahrungswerten könnte auch die solide Finanzierung seiner Gründung zu verdanken sein, die darüber hinaus durch den benachbarten Niederadel und die Wormser Oberhirten sichergestellt wurde. Den „Leuchtturm“ im kulturellen Spektrum des Stiftes stellen gewiß die Erzeugnisse des im 12. Jahrhundert betriebenen Scriptoriums dar, aus dem die „Frankenthaler (Wormser) Bibel“ hervorgegangen ist (heute British Library London). Der reformatorische Eifer der pfälzischen Kurfürsten machte um 1560 dem Stift Erkenberts ein Ende. Die Reste der Bibliothek erhielt die Universität Heidelberg und von dort wurden sie nach Rom verbracht. Erkenberts Mauern bildeten den Kern der Stadt und blieben bis heute ihr Mittelpunkt.
Jürgen Keddigkeit (S. 36-51) befaßt sich mit Gründung und Geschichte von Kirschgarten (ursprünglich Mariengarten benannt) und Kleinfrankenthal. Die erzählenden Wormser Quellen berichten, daß Bischof Heinrich II. 1226 auf Lehnsbesitz des Wormser Domkapitels außerhalb der Stadt auf einem Gartengelände ein Frauenkloster ansiedelte, dessen Ordenszugehörigkeit ungewiß bleibt. Unter seinem Nachfolger scheint es zur Etablierung eines Zisterzienserinnenkonvents gekommen zu sein. Die Könige Rudolf von Habsburg und Adolf von Nassau begünstigten die Frauen. Im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts häuften sich wirtschaftliche (Kriegs-, Brandschäden, Verpfändungen, Verkäufe) und personelle Probleme, schließlich verstand es die Kurpfalz, zusätzliche Schirmherrschaftsansprüche durchzusetzen und seit 1435 „stand Kirschgarten leer“ (S. 38).
Nach dem bischöflichen Eigenkloster Kirschgarten widmet sich der Verfasser der früheren, nahezu zeitgleich mit Groß-Frankenthal anzusetzenden Initiative Erkenberts für die Frauengemeinschaft, die sich um seine Ehefrau Richlind gebildet hatte, so daß für eine kurze Zeit ein Doppelkonvent existierte. Nur wenig später, Baubeginn war 1125, wurden die Augustinerchorfrauen nach Omersheim (seit dem Spätmittelalter Kleinfrankenthal genannt) verlegt und dort von Erkenberts Sohn, dem Chorherrn Wolfram, betreut. Die Weihe erfolgte 1139. Die geistliche wie wirtschaftliche Unterstellung unter Groß-Frankenthal sollte sich für die Frauen wenig günstig auswirken. Um 1437 drangen die Chorherren auf Aufhebung und Übertragung des Vermögens der Chorfrauen in das eigene. Der Wormser Bischof Friedrich von Domneck und Kurfürst Ludwig IV., der Sanftmütige, verhinderten dieses Ansinnen zunächst. Beide bemühten sich parallel um die Wiederbelebung des leerstehenden Kirschgarten. Nach mehreren Fehlschlägen gelang über die Windesheimer Kongregation 1443 die Besetzung mit Chorherren aus dem westfälischen Böddeken. Nur drei Jahre später unterstanden die Kleinfrankenthaler Frauen den Kirschgartener Chorherren.
Nach einer Phase der Konsolidierung geriet der Konvent durch Brandschäden und schließlich den Bauernkrieg in große Not und floh im Mai 1525 in den Wormser Stadthof. Nur wenige Tage später traten die Chorherren Kirschgarten an die Stadt ab, welche die Gebäude niederreißen ließ. Die Chorherren übernahmen Kleinfrankenthal, das nach Entschädigungsverhandlungen 1546 zum offiziellen Sitz des Konvents wurde. Die Heidelberger Verwaltung unter der Herrschaft des reformierten Kurfürsten Friedrich III. machte der in Kleinfrankenthal zusammengewürfelten Schar aus bereits der Reformation anheimgefallenen Häusern geeignete Angebote zur Aufgabe der geistlichen Lebensform. Großfrankenthal besetzte der Kurfürst mit calvinistischen Exulanten aus den Niederlanden. Die hier verbliebenen letzten Chorherren zogen daraufhin 1562 nach Kleinfrankenthal, das der Kurfürst 1564 aufhob.
Die folgenden beiden Beiträge wenden sich in beeindruckender Ausführlichkeit den romanischen Resten der Stiftskirche zu. Nach Bränden, Plünderung, Beschießung, Um- und Einbauten verblieben die Außenwand des nördlichen Seitenschiffs, der untere Teil der Westfassade, der Lettnerbereich und der Südostturm. Matthias Untermann (S. 52-71) bescheinigt diesen Elementen „hohe Qualität“ (S. 58) und führt diese auf die engen Kontakte Erkenberts zur Stadt Worms und zu den dortigen Bauleuten zurück. Die Verbindung zu Worms ist auch für die romanische Bauplastik von Bedeutung. Hannah Lea Breuninger (S. 72-103) bezeichnet das Nordportal des Wormser Doms als „Inspirationsquelle“ (S. 93) für das Frankenthaler Westportal (die Abbildung ziert den Bucheinband). Über die Untersuchung der Kämpfer, Kapitelle und Kapitellfriese kommt die Verfasserin zur Unterscheidung von zwei Werkstätten, die beide aus der Formenwelt der Wormser Bauplastik der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts schöpften.
Lena Sommer (S. 104-124) widmet sich dem bereits erwähnten Scriptorium, das besonders in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wie in einer weniger produktiven Phase um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert als ein „tätiges und wohlorganisiertes Zentrum der Buchherstellung“ (S. 107) zu gelten hat. Es ist nirgends belegt, sondern durch Stil- und Schriftvergleiche erschlossen. Von 1145 bis 1200 ließen sich 60 Schreiber nachweisen, unter ihnen „Schreiber A“, der die Frankenthaler Bibel mitgestaltet hat. Er war gleichfalls beteiligt an der Handschrift der Moralia in Iob, deren Verhältnis von Bild und Text die Verfasserin nachgeht. War die Moralia, ein Text Gregors des Großen zum Buch Hiob, für den Gebrauch in der Gemeinschaft gedacht, so diente das im 15. Jahrhundert geschaffene Brevier der privaten Frömmigkeit. Beide Werke sollten die Chorherren zu Demut, Reue und Buße anhalten, die Bilder ihnen zur Verankerung des Glaubens im täglichen Leben als „Denkbild oder auch Merkbild“ (S. 121) dienen.
Den Band beschließt der Beitrag von Bernd Leidig (S. 125-157), der die Schicksale des Baudenkmals von der Aufhebung des Stiftes bis in unsere Zeit darstellt. Wer dem Verfasser durch die Jahrhunderte folgt, wird an der „wahren Odyssee von Umbau, Zerstörung und Zweckentfremdung“ (S. 126) nahezu verzweifeln. Der Leser durchleidet eine Abfolge von Belagerungen, Besatzungen und Brandkatastrophen. Mit dem 19. Jahrhundert begann der Kampf des Altertumsvereins um die baulichen Reste. Der Zweite Weltkrieg zerstörte, was bis dahin zumindest gesichert schien. 1986/89 wurden Restaurierungs- und Sicherungsmaßnahmen durchgeführt. Die Entscheidung für den Einzug der Kultur in Erkenberts Stiftsruine fiel erst 1994. Der Verfasser vermag zuletzt seine Bedenken hinsichtlich der Schutzwilligkeit und Wertschätzung der Nutzer für das „kunsthistorisch und stadtgeschichtlich wertvolle Kleinod“ (S. 156) nicht gänzlich zu verbergen.
Über die Vermittlung von Wissen hinaus, ist der Band ansprechend und großzügig gestaltet, die Abbildungen sind sinnvoll und für das Verständnis hilfreich in den Text eingefügt. Eine etwas größere Drucktype der Bildunterschriften und Anmerkungen hätte den Fleiß und die Sorgfalt der Autoren für den Leser müheloser erfaßbar gemacht.