Aktuelle Rezensionen
Kathrin Eitel (Hg.)
Klimageschichten. Planet. Krise. Fiction
Münster 2024, edition assemblage, 114 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-96042-184-9
Rezensiert von Tim Heimlich
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.10.2025
Das Buch „Klimageschichten. Planet, Krise, Fiction“, 2024 von Kathrin Eitel herausgegeben, „will einseitig gestricktes Wissen kontrastieren, indem es Geschichten aus anderen Perspektiven erzählt“ (7). Bei dem einseitig gestrickten Wissen, von dem hier die Rede ist, handelt es sich um hegemoniales Klimawissen. In der Einleitung zu dem Band, der sich in das Genre „Climate Fiction“ einreiht, erörtert Eitel, dass Expertinnen und Experten sowie politische Entscheidungsträger aus dem globalen Norden maßgeblich prägen, wie Klimawandel zu definieren sei, welche Konsequenzen er habe und welche Strategien umgesetzt werden (sollten), um ihm zu begegnen. Eben solche hegemonialen, für viele Leserinnen und Leser selbstverständlich anmutenden Deutungen des Phänomens Klimawandel sollen durch die Lektüre von neun fiktiven Geschichten, aus denen sich der Band zusammensetzt, aufgebrochen werden. Climate Fiction ist ein junges Literaturgenre, bei welchem „Visionen zur planetaren Zukunft anhand von Geschichten entworfen“ (7) werden. Dabei möchten die Autorinnen und Autoren der Geschichten nicht nur aufzeigen, dass heterodoxe Perspektiven auf den Klimawandel durchaus legitim sind, sondern auch, dass die Umsetzung von „top-down“-Entscheidungen „von einer (höheren) politischen Instanz hinab in die lokalen Gegebenheiten […] katastrophale Auswirkungen hat – denn wenn an einem Ort etwas funktioniert, muss das noch lange nicht für einen anderen gelten“ (6).
Selbst für Leserinnen und Leser, die von dieser Message bereits nach einem Durchsehen der Einleitung, welche mit kulturwissenschaftlichem Fachvokabular rund um ein relationales und situiertes Wissenskonzept gut verständlich in die Thematik einführt, überzeugt sind, lohnt sich die Lektüre der folgenden Climate Fiction-Erzählungen. Denn durch clevere Verstrickungen ethnografischer Erkenntnisse mit fiktiven Erzählungen, die häufig an reale Erfahrungsberichte angelehnt sind, wird auf eine sehr eindringliche Art ein Verständnis dafür geschaffen, wie sich der Klimawandel rund um den Globus bemerkbar macht und inwiefern weitreichende „top-down“-Entscheidungen tatsächlich große Hürden für diverse Gesellschaftsgruppen aufstellen können. „Um herauszufinden, wie Wissen konkret verortet wird, müssen wir uns an die Plätze begeben, an denen es produziert wird“ (9) – genau dies vermitteln die neun Erzählungen, welche einen unterschiedlich hohen Grad an Fiktionalität aufweisen. Es wird nicht transparent aufgeklärt, welche Geschichten einen direkteren Bezug zu tatsächlichen Ereignissen haben; lediglich bei der letzten Geschichte, die von einem zeitreisenden, sprechenden Fisch in der Hauptrolle handelt, scheint klar zu sein, dass die meisten Dialoge erdichtet wurden.
Anders verhält es sich mit der ersten Kurzgeschichte „Was, wenn es nicht mehr nach Fisch riecht?“ von Anna Lena Bercht, in der eine Ethnografin bei ihrer Feldforschung in den norwegischen Lofoten erfährt, wie lokale Fischer ihr gesamtes Dasein rund um den Fang von nordost-arktischem Kabeljau aufgebaut haben. Die globale Erwärmung wird höchstwahrscheinlich gravierende Folgen für die Fischer haben, da die Fische künftig nicht nur ihre Fortpflanzungsgebiete verlagern werden, sondern auch die Entwicklung der Fischeier durch einen erhöhten Kohlendioxidgehalt im Wasser bedroht ist.
Am Beispiel von Waldbränden wird in der zweiten Geschichte „Regen-Wald-Wasser“ von Cornelia Ertl deutlich, dass lokale Probleme nicht immer von angesehenen Hilfsorganisationen gelöst werden: „Pedro lacht mich aus und wendet sich an João: ‚Habt ihr jetzt eigentlich Geld für den Zaun um eure Quelle bekommen? Von dieser einen NGO, die immer ihre Vorträge bei euch auf der Farm hält?‘ Sara Christina schüttelt den Kopf: ‚Die reden viel und machen schöne Fotos. Aber wir schützen unseren Wald selbst.‘“ (48)
Es folgen die Kurzgeschichten „Yo no sé mañana“ von Laura Otto und „Wiener Wüste“ von Christian Elster. Während Otto in ihrer Erzählung von verschwindenden Mangoplantagen in Mexiko und einer zunehmenden Algen-Plage an Mexikos Küste die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biografien zweier unterschiedlicher Protagonistinnen schildert und ihre Wege schließlich kreuzen lässt, berichtet Elster von Wasserproblemen am Neusiedler See, die das Leben zahlreicher Akteurinnen und Akteure beeinflussen.
Um eine höchst aktive Protagonistin geht es in der fünften Kurzgeschichte „Der Wille zum Leben“ von Vera Benter und Salanieta Koro. Diese Erzählung dreht sich um eine Klimaaktivistin, die ein Mangrovenaufforstungsprogramm auf Fidschi gestartet hat und mit aller Macht versucht, etwas gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu unternehmen.
In der darauffolgenden Erzählung „Stromverweigerung“ von Eileen Jahn wird ein dystopisches Bild entworfen, nach welchem sich Wohlhabendere ununterbrochen Strom leisten, während sich das südafrikanische Staatsunternehmen für Elektrizität um regelmäßige Stromausfälle im ganzen Land, unter denen große Teile der Bevölkerung leiden, nicht kümmert. Ein staatlich gefördertes Ungleichgewicht der Ressource Strom steht im Mittelpunkt der Geschichte: „Benebelt von Dieselwolken, die wie Dunstfahnen durch die Stadt ziehen, komme ich in wohlhabendere Viertel der Stadt. Zusammen bilden die Klickgeräusche und der Geruch der Generatoren eine sensorische Landkarte. Eine Karte des abfedernden Wohlstands, der vermeintlichen Sicherheit hinter knisternden Zaunkronen und Mauern, des stetig anhaltenden Bedarfs an ununterbrochenem Komfort und der Weigerung, auch nur für zweieinhalb Stunden ohne Strom zu sein.“ (72–73)
Den Abschluss des Bandes bilden die drei Kurzgeschichten: „Alte Männer und das Meer“ von Tanja Ganzow, „Stadtbeben“ der Herausgeberin Kathrin Eitel und abschließend „Weißbartl – 100 Jahre Klimarechnungshof“ eines Kollektivs, bestehend aus über zehn Mitwirkenden. Während Ganzow in einem an Hemingway erinnernden Schreibstil Diskrepanzen zwischen den Lebensrealitäten von Fischern an der spanischen Küste und blauäugigen EU-Klimaschutz-Plänen aufzeigt, eröffnet Eitel ein apokalyptisches Szenario einer untergehenden Stadt. Die abwechslungsreichste Lektüre bietet die letzte Erzählung, berichtet in ihr doch ein in die Vergangenheit gereister Wels namens Weißbartl aus einer Multi-Spezies-Innenperspektive dem 2021 gegründeten Klimarechnungshof vom Anliegen der Fische und künftigen Entwicklungen des Weltgeschehens.
Neben diesen kleinen Einblicken in die Climate Fiction-Erzählungen wären detailliertere Beschreibungen der Kurzgeschichten hier fehl am Platz. Denn nur, wenn die Erzählungen in ihrer Gänze gelesen werden, können sie das einlösen, was in der Einleitung versprochen wird: „Die Geschichten in diesem Buch zeigen auf: Wir alle wissen Klimawandel unterschiedlich.“ (7) Zweifelsohne gelingt es den Autorinnen und Autoren, diese Botschaft zu vermitteln. Der Band dürfte eine interessante, abwechslungsreiche Lektüre für Ethnografinnen, Ethnografen sowie Vertreterinnen und Vertreter fachverwandter Disziplinen sein. Allerdings ist es fraglich, welche Zielgruppen die Kurzgeschichten darüber hinaus ansprechen können. Wie die teilweise stark moralisierenden Erzählungen von denjenigen aufgenommen werden, die am dringlichsten für die Klimaproblematik sensibilisiert werden müssten, bleibt abzuwarten. Als Startpunkt für eine deutsche Climate Fiction-Szene liegt nun aber endlich ein großartiger Band vor, von dem sich viele Autorinnen und Autoren für Genreergänzungen inspirieren lassen können. Dem Plädoyer von Kathrin Eitel, auch im deutschsprachigen Raum Climate Fiction zu publizieren, kann sich an dieser Stelle nur angeschlossen werden – denn Verbesserungen der Klimakommunikation bedeuten Verbesserungen der Handlungsoptionen, welche gesamtgesellschaftlich dringend benötigt werden.