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Felix Gaillinger

Um den Unterhalt kämpfen! Junge Volljährige im Rechtsstreit gegen ihre Väter

München 2022, utzverlag, 128 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8316-4959-4


Rezensiert von Marlene Käding
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.10.2025

Aus juristischer Perspektive sind die finanziellen Unterhaltsregelungen für junge Volljährige in Ausbildung durch ihre Eltern recht eindeutig – in der Realität jedoch konfliktreich und kompliziert. Dies verdeutlicht Felix Gaillinger anhand seiner ethnografischen Studie über (Rechts-)Streits junger Volljähriger gegen ihre Väter. „Um den Unterhalt kämpfen!“ lautet der nicht ohne Grund energische Titel seiner Studie, in der er sich an den Schnittstellen zwischen Rechtsanthropologie, Prekarisierungs- und Familienforschung, zwischen Recht und Beziehung sowie zwischen Vätern und ihren Kindern in privaten Konflikten bewegt. Die am Münchner Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie entstandene und in der Reihe „Münchner Ethnographische Schriften“ veröffentlichte Masterarbeit leistet es – im Sinne der sozialaufklärerischen Ideale unserer Fachausrichtung –, Menschen in prekärer Lage ein Sprachrohr zu bieten. Gaillinger selbst bezeichnet die jungen Volljährigen als „Subjekte am Rande des Diskurses“ (9), die weder unter die Obhut des Rechts noch in das Idealbild des Familienglücks fallen und von klassistischen Ausgrenzungen betroffen sind.

„Eigentlich habe ich mich mit ihm immer ganz gut verstanden, aber bei solchen Belangen kannst du es vergessen.“ (85) Der „Belang“ der 19-jährigen Chiara richtet sich an ihren Vater, der sich nach ihrer Volljährigkeit weigert, weiterhin für ihren Unterhalt aufzukommen. Der Streit, der sich zuvor zwischen ihren getrennten Eltern abspielte, fällt nun plötzlich in Chiaras Verantwortung und läuft nicht so reibungslos ab, wie es das Gesetz vorsieht. Ihre Situation ist eine von dreien, die Gaillinger aus seinen insgesamt 30 Forschungspartnerinnen und -partnern exemplarisch darstellt. Die sehr dichten ethnografischen Beschreibungen von Chiaras, Lauras und Dorians Lebensrealitäten ergeben sich methodisch aus problemzentrierten Interviews, dem Heranziehen von Briefen der Interviewpartnerinnen und -partner an ihre Väter sowie aus teilnehmenden Beobachtungen während der Interviewsituationen. Darüber hinaus ergänzt Gaillinger den Diskurs zum einen um eine Medienanalyse über maskulinistische Plattformen, auf denen sich Männer in der Entscheidung solidarisieren, keinen Unterhalt zahlen zu wollen, und zum anderen mit Gesprächen mit Sozialarbeiterinnen und -arbeitern aus Institutionen, die Hilfe in Unterhaltskonflikten anbieten. Forschungsleitende Frage der Arbeit ist dabei, welche Strategien und Taktiken im Sinne Michel De Certeaus die jungen Volljährigen entwickeln, um mit dem innerfamiliären Konflikt und ihrer prekären Situation umzugehen. Indem Gaillinger die drei definierenden Feldachsen „Volljährigkeit“, „sozioökonomische Verbindung zum Elternteil“ und „unterhaltsrechtliche Regelungen“ (12) verknüpft, eröffnet er den Diskurs über das Forschungsfeld.

Nicht willkürlich beschränkt sich der Autor im Laufe seiner Untersuchung auf Konflikte, die zwischen Volljährigen und ihren Vätern verhandelt werden. Die geschlechtliche Komponente ergibt sich aus der strukturell hegemonialen und staatlich (re)produzierten Familiennorm, in der ein „zeitspezifisches, männliches Ernährermodell“ (16) die Verwaltung ökonomischer Ressourcen innerhalb der Familie in die Hände der Väter legt. Dass insbesondere im Falle einer Trennung die Person, die bisher unbezahlte Reproduktionsarbeit geleistet hat – normativ also die Mutter –, in Prekarität verfällt, ist statistisch betrachtet keine Neuheit. Demzufolge überrascht es nicht, dass insbesondere Väter zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet werden. Gaillinger bezeichnet die jungen Volljährigen als „Agent:innen, die versuchen, von ihren Vätern die Ernährerrolle einzufordern und geordnete Verhältnisse (wieder)herzustellen“ (16).

Auch in der weiteren Analyse der verschiedenen Akteurinnen und Akteure – seien es die unterhaltsrechtlichen Regelungen des Staates, Institutionen wie Anwaltskanzleien oder Jugendämter oder die Väter, Mütter und Volljährigen selbst – werden die jeweiligen Handlungsspielräume und Realitätshorizonte machtkritisch dekonstruiert. Zwischen all den makrostrukturellen Komponenten des Feldes sowie den sozialstaatlichen Normen und Regelungen richtet Gaillinger nun seinen Blick auf die tatsächliche Aushandlung des individuellen Konflikts: den Streit zwischen Vätern und ihren erwachsenen Kindern. Weigern sich Väter, den Unterhalt zu zahlen, und ist der Gang zur Anwaltskanzlei finanziell nicht möglich, mündet der Konflikt in den privaten Strategien der jungen Volljährigen, um ihre Situation zu bewältigen. Ob etwa in Briefen an die Väter vom „Du“ zum „Sie“ gewechselt, moralischer Druck ausgeübt oder der Weg über Hilfsinstitutionen gewählt wird – die letztendlich gewählten Taktiken, um der finanziellen Prekarität zu entkommen, werden entlang der Beziehungsverhältnisse zu den Vätern ausgehandelt. Gaillinger bezieht diese Erkenntnisse auf aktuelle Forschungskonzepte wie „doing family“ oder „doing kinship“, wie sie im Fach beispielsweise von Michi Knecht vertreten werden. So werden auch in den geschilderten Situationen familiäre Beziehungen jenseits normativer Vorstellungen von Familie aktiv (re)produziert. Um die praxeologischen Forschungskonzepte weiterzudenken, ließe sich argumentieren, ob nicht angesichts der Forschungsergebnisse aus Gaillingers Studie der Terminus „doing Unterhalt“ oder „doing alimony“ geeignet wäre.

Das Forschungsfeld entzieht sich jedoch nicht nur gesellschaftlichen Familiennormen – auch aus rechtsanthropologischer Perspektive wird deutlich, dass eine simplifizierende juristische Betrachtung nicht ausreicht, um Unterhaltskonflikte zu verstehen. Da der Gang zur Anwaltskanzlei in den meisten Fällen nicht möglich ist, müssen sich die jungen Volljährigen das juristische Wissen selbst aneignen. Gaillinger spricht hier von „erlebtem Recht“ (12), in dem sich die Forschungspartnerinnen und -partner selbst verorten. Dabei spielt nicht nur ein mögliches Unwissen über das Recht eine Rolle, sondern mitunter auch ein bewusster Bruch mit dem Recht, um das persönliche Ziel zu erreichen. Abschließend bezieht Gaillinger die Praxis des Aushandelns von Recht innerhalb und entlang privater Beziehungskonflikte auf die Theorie des „Homo contractualis“ von Ulrich Bröckling, wie er sie in seiner soziologischen Zeitdiagnose des „unternehmerischen Selbst“ formuliert.

Bereits im Vorwort der Arbeit erwähnt Gaillinger seine persönliche Erfahrung mit genau diesen Unterhaltskonflikten. Trotz dieser Nähe zum Forschungsfeld – oder gerade deshalb – zieht sich ein stringenter Faden durch die Arbeit: von detailliertem empirischen Material bis hin zur konsequenten Abstraktion auf eine makrostrukturelle gesellschaftliche Ebene. Besonders hervorzuheben sind die im Rahmen der Auswertung der Interviewdaten durchgeführten Supervisionssitzungen, welche Gaillingers Wahrnehmung der sensiblen und emotionalen Feldgespräche reflektiert rekontextualisieren.

Die Studie reiht sich in die volkskundliche Tradition der Familienforschung ein und deckt durch ein kulturwissenschaftlich bislang unerforschtes Feld eine gesellschaftliche Problematik auf, die dennoch weit über den individuellen, innerfamiliären Konflikt hinausgeht. Nach ihrer Lektüre erscheint Unterhalt nicht mehr als selbstverständliche Unterstützung, sondern als ein Privileg, das zu Bildungsungerechtigkeit und Klassismus führen kann.