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Tabea Stirenberg

Scham, Schmerz, Hysterisierung. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Menstruation als Alltagspraxis.

(Münchner Ethnographische Schriften 36), München 2022, Utz, 102 Seiten, ISBN 978-3-8316-4977-8


Rezensiert von Marlene Käding
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.10.2025

„Nennt es beim Namen! Die Periode ist nicht so schlimm, man kann das Wort schon benutzen“ (32) plädiert Interviewpartnerin Ida, als es um die Euphemisierung und Umschreibung von Menstruationsbegrifflichkeiten geht. Mit zehn weiteren Forschungspartnerinnen ist Ida mit dieser Forderung keineswegs allein. In der am Münchner Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie entstandenen Masterarbeit „Scham, Schmerz, Hysterisierung. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Menstruation als Alltagspraxis“, die 2022 in der Reihe „Münchner Ethnographische Schriften“ veröffentlicht wurde, erforscht Tabea Stirenberg, welchen Einfluss der gesellschaftliche Umgang mit Menstruation auf die Periodenpraktiken menstruierender Personen hat. Hierbei geht es um die Korrelation zwischen der Tabuisierung und Verdrängung von Menstruation in der Gesellschaft und den daraus resultierenden normativen Menstruationspraktiken. Analysiert werden dafür periodenspezifische Praktiken aus dem Alltag, wie etwa die vestimentären Praktiken während der Menstruation, das Wechseln und die Entsorgung von Periodenprodukten auf öffentlichen Toiletten sowie Sprachspezifika und Machtgefälle im Zusammenhang mit der Kommunikation über Menstruation im Alltag.

Stirenberg stand methodologisch vor der Herausforderung, Menstruationspraktiken, die sich überwiegend im privaten Raum abspielen und oft nicht aktiv kommuniziert werden, für die Forschung sichtbar zu machen. Über verschiedenste Facebook-Gruppen, die sich explizit mit dem Thema Menstruation befassen, erhielt Stirenberg schließlich Zugang zu einer geschlossenen „Menstruationstassen-Gruppe“ (24) mit mehr als 15.000 Mitgliedern. Ihre Forschungsanfrage stieß dort auf großes Interesse, aus 18 Kontakten kristallisierten sich elf Interviewpartnerinnen heraus.

Ihre eigene Menstruationserfahrung erleichterte Stirenberg zum einen den Zugang zur geschlossenen Facebook-Gruppe, zum anderen half sie ihr, in den Gesprächen ein „intensiveres Eingehen auf und Verständnis für die Erfahrungen des Gegenübers“ (26) zu zeigen. Mithilfe des Kodierungs- und Auswertungsverfahrens der Grounded Theory entstand aus den elf qualitativen Interviews ein verdichtetes Datenmaterial, das aufschlussreiche Einblicke in die Thematik gewährt.

Kulturwissenschaftliche Forschungen zum Thema  „Körper“ gewannen seit den 1980er Jahren mit den Arbeiten Utz Jeggles oder Wolfgang Kaschubas zusehends an Bedeutung, Sabine Zinn-Thomasʼ Dissertation „Menstruation und Monatshygiene“ aus dem Jahr 1997 gilt als ein Basiswerk. Menstruation lässt sich als anthropologische Grundkonstante begreifen, die sich weit über die reine Körperlichkeit der Dinge hinaus in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche hineinzieht. Gemessen an der Bedeutung der Thematik existieren jedoch verhältnismäßig wenige kulturwissenschaftliche Forschungsarbeiten über Menstruation. Vorhandene Studien aus den Sozial- oder Kulturwissenschaften reihen sich vorwiegend in die Gender- und Körperforschung ein und thematisieren häufig Tabudiskurse sowie gesellschaftliche Vorstellungen von Sauberkeit und Hygiene. Stirenberg kommentiert an dieser Stelle zurecht die Abwesenheit der Thematik in Arbeits-, Familien-, Konsum-, Armuts- oder Stadtforschung. Die Relevanz einer (kultur-)wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Menstruation zeigt sich nicht zuletzt auch in ihrer Thematisierung in populärwissenschaftlichen und popkulturellen Kontexten in den letzten Jahrzehnten. Da sei jedoch das Problem, so Stirenberg, dass „zwar zunehmend mehr über Menstruation, aber nicht ausreichend mit den Menstruierenden selbst gesprochen wird“ (23).

Besonders hervorzuheben in Stirenbergs Monografie ist die gelungene Verknüpfung von periodenspezifischen Praxen und Machthierarchien im Alltag und insbesondere im Arbeitsumfeld. Bei der Tabuisierung von Menstruation und den dazugehörigen Begrifflichkeiten und Produkten geht es nicht nur um gesellschaftlich etablierte Vorstellungen von Sauberkeit und Körperlichkeit. Die Interviewpartnerinnen erläutern, dass sie in bestimmten Umfeldern nicht aktiv kommunizieren, dass sie gerade menstruieren, um zum Beispiel nicht ihre Zurechnungsfähigkeit abgeschrieben zu bekommen. Spezifisch kritisiert werden an dieser Stelle Sätze wie „Ach, die hat ihre Tage“ (80), mit denen menstruierenden Personen im Alltag ihre Ratio und Meinung diskreditiert wird. Stirenberg bezieht diese genderbezogene Machtstruktur auf das historische Konstrukt der „hysterischen Frau“ (81), die bis heute in Denkweisen und Sprachgebrauch fortbesteht. Die Periode als „Krankheitsbild“ (ebd.) und als Begründung für die Unzurechnungsfähigkeit sowie Irrationalität der Frau belastet dabei die Interviewpartnerinnen in Alltagssituationen und führt nicht zuletzt zu ausgrenzenden sozialen Strukturen. Die Stigmatisierung der Menstruation trägt dabei vielmehr zum Verbergen der Periode bei, entgegen dem Bedürfnis menstruierender Personen nach offenerer Kommunikation.

Die Forschung von Tabea Stirenberg verdeutlicht, wie gesellschaftliche und genderspezifische Normvorstellungen rund um die Periodenpraktiken sich in den individuellen Verhaltensweisen von menstruierenden Personen internalisieren. Ihre Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung genderbezogener Machtstrukturen. So werden vestimentäre Praktiken und spezifisches Verhalten auf öffentlichen Toiletten beispielsweise durch Schamgefühle, Angst und Ekel beeinflusst. Ferner kommt es durch fehlende Kommunikation über Schmerzempfinden und Symptomen während der Menstruation zu sozialen Herausforderungen im Umgang mit dem Alltag. Die Interviewpartnerinnen äußern daher explizit den Wunsch nach offenerem Austausch und Bildung über Menstruation und Menstruationspraktiken. Eine Schlussbemerkung lässt sich in Bezug auf das Sample der Forschungspartnerinnen machen: Wie bereits Stirenberg selbst in der Studie reflektiert, handelt es sich bei der Wahl der Interviewpartnerinnen nur um Cis-Frauen, wodurch die Perspektive genderqueerer oder intersexueller menstruierender Personen nicht berücksichtigt wird – ein Desiderat, das womöglich ausreichend Material für eine eigenständige Studie liefert.