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Christine Keller/Schweizerisches Nationalmuseum (Hg.)

Begehrt, umsorgt, gemartert. Körper im Mittelalter

Zürich 2024, Scheidegger & Spiess, 157 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-03942-187-9


Rezensiert von Marita Metz-Becker
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.10.2025

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um den Katalog zur Ausstellung „Begehrt, umsorgt, gemartert. Körper im Mittelalter“, die vom 15. März bis 14. Juli 2024 im Schweizerischen Nationalmuseum, Landesmuseum Zürich, zu sehen war.

Davon ausgehend, dass jeder Mensch einen Körper hat, der der Mittelpunkt seines Daseins ist, vom Anfang bis zum Ende, fragen sich die Autoren und Autorinnen des Buches, welche Vorstellungen über den menschlichen Körper im Mittelalter herrschten, welchen Stellenwert Körper in jener Zeit hatten, wie sie dargestellt und in der Literatur beschrieben wurden.

Die Ausstellung und der Begleitband sind nach bestimmten Gesichtspunkten strukturiert. Sie gehen dem „nackten“ Körper, dem „begehrten“, dem „idealen“, dem „kranken“, dem „anderen“ Körper sowie dem „leidenden“ und dem „toten“ Körper in Abbildungen und kulturwissenschaftlichen Essays nach.

Im Mittelalter wird der Körper als Wechselspiel zwischen dem äußeren und dem inneren Körper verstanden. Er gilt als Schöpfung Gottes, wird verehrt und umsorgt, wegen seiner Sündhaftigkeit aber auch geschlagen und gemartert. Die kunst- und kulturhistorische Suche nach dem „nackten“ Körper beginnt mit Lucas Cranachs „Adam und Eva im Paradies“ (1531), diversen Mariengeburten und stillenden Madonnen sowie dem nackten Leib Christi. Den „begehrten“ Körper veranschaulichen bemalte Minnekästchen mit Amor und seinem Liebespfeil sowie anzügliche Amulette und Abbildungen kopulierender Ehepaare. Der „ideale“ Körper wird unter anderem anhand von Minneszenen und Jungbrunnendarstellungen sowie Albrecht Dürers „Apoll und Diana“ (um 1503) vorgestellt. Beim „kranken“ Körper begegnen uns Apothekerszenen und Aderlasszeichnungen; der „andere“ Körper findet sich im Hofzwerg oder im Riesen, in Wundergeburten mit zwei Köpfen oder Wundervölkern. Den „leidenden“ Körper versinnbildlicht Christus am Kreuz sowie diverse Märtyrerszenen Heiliger, wobei besonders drastisch die Häutung des Bartholomäus ins Auge springt. Der „tote“ Körper ist auf Grabmälern und Reliquienschreinen dargestellt oder in der Sterbeliteratur des Mittelalters mit Zeichnungen zur Ars Moriendi.

Die Autoren und Autorinnen weisen darauf hin, dass die Bilder nicht mit den Körpern verwechselt werden dürfen, die sie zeigen. So wirkungsstark die Fresken, Gemälde und Skulpturen auch waren, „sie waren religiöse und politische Medien und redeten durch Größe, Material und aufwendige Farben unübersehbar vom Geld und der Macht ihrer Auftraggeber“ (22).

In der mittelalterlichen Sexualkultur ist davon auszugehen, dass es bezüglich des nackten Körpers ein gottgewolltes Sexualleben gab, das auf Nachkommenschaft zielte, und ein sündiges, das an widernatürlichen Handlungen zu erkennen war. Wobei andererseits aber auch die Prostitution als notwendiges Übel akzeptiert wurde, da sie die soziale Ordnung und den häuslichen Frieden sicherte.

Den idealen Körper verknüpften unsere mittelalterlichen Vorfahren nicht mit sportlicher Betätigung, wie dies heute der Fall ist, sondern mit der Figur des adligen Ritters, dessen Körper zugleich Werkzeug und soziales Kapital war. Der Habitus des Ritters war geprägt von Wehrhaftigkeit und Gewaltbereitschaft, die unmittelbar mit dem Kriegshandwerk einherging. Diese Ideale wurden auch vom Bürgertum übernommen, das den athletischen Männerkörper in seiner Kleidung mit auffälligen, körperbetonten Schlitzhosen und Seidenwams sowie maskulinen Accessoires, wie Degen oder Schwert zur Schau stellten.

Auf den kranken Körper wurde im Mittelalter mit zahlreichen Heilmitteln eingewirkt, die zum Teil aus der Antike überliefert waren. Aufgrund der Säftelehre waren Aderlass oder Urinschau bevorzugte Mittel zur Wiederherstellung der Gesundheit. Auch die Klostermedizin nahm den kranken Körper ernst, wobei allerdings immer auch Magie und Spiritualität eine Rolle spielten. Nicht zuletzt betonte die Kirche, dass das ewige Leben der Seele nach dem Tod wichtiger sei, als das irdisch begrenzte des Körpers.

Dass es Körper gab, die von der Norm abwichen, wie am „Zwerg“ oder „Riesen“, seltsamen „Wundervölkern“ oder Säuglingen mit zwei Köpfen etc. deutlich wird, beschäftigte die Menschen des Mittelalters ebenfalls. Der andere Körper gab Anlass zu verschiedensten Debatten, die sowohl in die theologischen als auch in die juristischen, naturwissenschaftlichen oder philosophischen Werke der Zeit Eingang fanden.

Der leidende Körper stellt in der mittelalterlichen Kunst eines der beliebtesten Sujets dar. Die Vielzahl von Gewaltvisualisierungen ist auffällig und deren Brutalität den heutigen Menschen befremdlich. Exzessive Folterdarstellungen, Zerstückelungen, Häutungen, Rädern, Verbrennungen, Höllenszenarien, Heiligenmartyrien etc. finden sich, wohin man schaut. Mögliche Erklärungen hierfür sieht die Forschung in der Veränderung des Gewaltdiskurses vom Früh- zum Spätmittelalter, das Gewalt zum ersten Mal als moralisch-ethisches Problem begreift, das es zu kontrollieren gilt. „Es entstanden Systeme, die detaillierte Berichte über gewalttätiges Verhalten innerhalb der Stadtmauern lieferten und Kriterien zur Quantifizierung und Konzeptualisierung von Gewalt aufstellten.“ (121)

Für den toten Körper schließlich galt im Christentum, dass man ehrenvoll mit ihm umging. Allerdings „gab es erhebliche Entwicklungen in der Einstellung zum toten Körper im Laufe des langen Mittelalters“ (138). Man hatte keine Scheu vor ihm, berührte ihn, küsste ihn und stellte ihn in Reliquiaren aus. Die Reliquien besaßen darüber hinaus die besondere Eigenschaft, weiterhin „lebendig“ zu sein und so, nach den Vorstellungen der Zeit, aktiv zum gesellschaftlichen Wohl beizutragen.

Es handelt sich um eine spannende Lektüre, die das Buch mit seinen vielfältigen und oft auch überraschenden Einblicken in das umfassende Thema „Körper“ bietet; auch die Auswahl der zum Teil großformatigen farbigen Abbildungen ist beeindruckend. Aber wie so oft bei ikonografischen Zugängen, besteht die Crux darin, dass nur diejenigen kunsthistorischen Zeugnisse überliefert sind, die es in die Kirchen, Kathedralen, Klosterbibliotheken oder Museen geschafft haben. Die Deutungshoheit lag im Mittelalter, als die meisten Menschen weder schreiben noch lesen konnten, bei Klerus, Adel und städtischem Bürgertum. Der alltägliche Umgang mit dem Körper, wie ihn die sogenannten „kleinen Leute“ erlebt und erfahren haben, bleibt bis auf wenige Ausnahmen ausgeblendet.

Nichtsdestotrotz stellt der vom Verlag aufs Feinste ausgestattete Band einen wichtigen Beitrag zur Körpergeschichte des Mittelalters und dessen Definition von Normen und Idealen des menschlichen Körpers dar.