Aktuelle Rezensionen
Florian G. Mildenberger
„Der Leib im Dienst der Seele“. Die Deutsche Jugendkraft (DJK) im innerkatholischen Machtgefüge (1920–1990)
(Schriftenreihe des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte. Reihe II. Materialien zur Niedersächsischen Sportgeschichte 10), Hannover 2024, Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte e. V., 265 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-932423-48-2
Rezensiert von Wolfgang Philipps
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.10.2025
Übersichtsdarstellungen sportlicher Fach- und Dachverbände (oder der von ihnen organisierten Sportarten) sind in wissenschaftlich fundierter Form bis heute überschaubar geblieben, wobei die jüngsten Tendenzen beinahe extrem anmuten: Während einige Organisationen und namhafte Vereine in aktiver Form inzwischen selbst ihre NS-Vergangenheit durch Außenstehende aufarbeiten lassen (als jüngstes Beispiel der Deutsche Ruderverband), erscheinen andere geradezu geschichtsvergessen und publizieren nicht einmal mehr historische Beiträge oder gar Festschriften zu den großen Jubiläen.
Obwohl sich hier gerade jüngeren Akademikerinnen und Akademikern nicht nur ergiebige Themen, sondern vielleicht auch ein interessiertes Publikum bieten, wird der Raum zwischen diesen Extremen nur selten von außen durch die Geschichtswissenschaft oder Publizistik gefüllt. Dieses viel zu rare Glück ist jetzt dem zumeist als „Deutsche Jugendkraft“ bekannten DJK-Sportverband (DJK) widerfahren: Der Berliner Privatgelehrte und Publizist Florian G. Mildenberger widmet sich in seiner quellenbasierten Studie „Der Leib im Dienst der Seele“ jetzt der Vorgeschichte und den ersten sieben Jahrzehnten des nationalen Dachverbandes katholischer Sportvereine, der 1920 in Würzburg gegründet worden ist und in der Gegenwart über 467.000 Mitgliedern in 1.050 Klubs (2023) eine Heimat bietet.
Die auch nach 1945 noch lange Jahre von Spaltungen geprägte DJK-Historie war bis dahin neben der Festschrift von 1995 lediglich in kleineren, häufig regional geprägten Beiträgen aufgegriffen worden, wobei als Autoren insbesondere der 2022 verstorbene Hans Langenfeld (Universität Münster) und Hermann Queckenstedt (Diözesanmuseum Osnabrück) zu nennen sind. Mildenberger hat nun eine Vielzahl von Archiven und zeitgenössischen Publikationen durchforstet und bemüht sich in seiner vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung reichenden Studie neben dem weitgefassten Zeitraum insbesondere um eine „Einordnung in das katholische Milieu als solches im Kontext des Zeitgeschehens“ (13).
Der Autor widmet sich in vorbildlicher Form ebenso der Vorgeschichte der Leibesübungen im katholischen Milieu, dessen zentrale Akteure sich auch hier lange in einer Abschirmung gegen den weltlichen Staat als Ganzes wie die wachsende Sozialdemokratie im Speziellen versuchten. So hatte der Kulturkampf in der Bismarckzeit zu einer Verfestigung und weiteren Abschottung des katholischen Milieus geführt, wobei zumeist konservative und antimodernistische Stimmen den Diskurs beherrschten. Spätestens um die Jahrhundertwende wurde jedoch ersichtlich, dass beim Kampf um die Jugend auch die Sphäre des Sports nicht mehr ignoriert werden konnte: Während von offizieller Seite „Sport nur auf ‚religiös-sittlicher Grundlage‘“ (39) und mit geistlicher Begleitung Raum gegeben werden sollte, entstanden auf lokaler Ebene erste Gruppen, die sich auch an bürgerlichen Vereinen orientierten.
Zur Gründung eines nationalen Dachverbandes kam es in der Endphase des Kaiserreichs nicht mehr, doch verstärkte sich in der modernen neuen Welt der Weimarer Republik dieser Druck: Am 16. September 1920 wurde in Würzburg mit dem Jugendseelsorger Carl Mosterts (1874–1926) als treibende Persönlichkeit die „Deutsche Jugendkraft - Reichsverband für Leibesübungen in katholischen Vereinen“ gegründet. Mosterts hatte sich bereits vor dem Krieg maßgeblich um die katholische Jugendbewegung verdient gemacht und wurde zum Vorsitzenden und Generalpräses (geistlicher Begleiter) gewählt. Die Gründung war weder unumstritten noch der neue Verband innerhalb des Milieus allumfassend, doch wurde die Gefahr des Abwanderns von Mitgliedern der etablierten katholischen Jugendorganisationen in andere Turn- und Sportvereine, insbesondere in die der Sozialdemokraten, als zu groß erachtet, wobei Mildenberger diese Aktion als eine „mehr oder weniger koordinierte Flucht nach vorn“ (49) wertet. Der Verband erwuchs maßgeblich aus der katholischen Jünglingsvereinigung und bestand folglich nur aus männlichen Mitgliedern; 1928 gründete die katholische Jungfrauenvereinigung den „Reichsverband für das Frauenturnen“, der wie die DJK in Düsseldorf residierte. Unter dem seit 1926 amtierenden Prälaten Ludwig Wolker (1887–1955) entwickelte sich die DJK in der gesellschaftlich vielfach zersplitterten Weimarer Republik zu einer weiteren weltanschaulichen Sportorganisation ersten Ranges, die bis zur ihrer Auflösung 1935 auf über 250.000 Mitglieder anwuchs. Drei große nationale Sportfeste („Reichstreffen“) und nationale Meisterschaften im Fußball wie auch Handball waren die Flaggschiffe eines eigenständigen konfessionsgebundenen Sportbetriebes, bei dem analog zum Arbeitersport und zur „reinlichen Scheidung“ der Deutschen Turnerschaft eine weitere „Parallelwelt“ zum nunmehr dominierenden bürgerlichen Sport geboten wurde.
Im „Dritten Reich“ sahen sich katholische Organisationen ebenso der Gleichschaltung und teilweisen Verfolgung ausgesetzt, wobei der Katholizismus wie die Arbeiterbewegung als potenzieller Feind des Nationalsozialismus betrachtet wurde. Trotz des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 lösten lokale Behörden immer wieder Vereine auf oder untersagten Veranstaltungen, ehe am 23. Juli 1935 schließlich ein umfassendes Betätigungsverbot erlassen wurde. Der im Dezember 1933 ins Amt gekommene DJK-Reichsführer Adalbert Probst (1900–1934) war bereits am 2. Juli 1934 während des sogenannten „Röhm-Putsches“ unter ungeklärten Umständen eines gewaltsamen Todes gestorben.
Nach 1945 sah sich die Wiederbegründung des katholischen Sports in organisierter Form nicht nur von massiven Geburtswehen begleitet, sondern erlebte auch langanhaltende Richtungskämpfe: Der im „Dritten Reich“ zeitweilig verfolgte, jetzt aber auch sportpolitisch ambitionierte Ludwig Wolker (u. a. Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees) strebte für den 1949 als Rechtsnachfolger des ehemaligen Reichsverbandes gegründeten DJK-Hauptverbandes eine Eingliederung in den konfessionell neutralen Deutschen Sportbund (DSB) an. Dagegen wollte der in den Diözesen Münster und Paderborn beheimatete DJK-Verband Rhein-Weser wie schon vor 1935 den Sportbetrieb weiterhin innerhalb streng katholischer Gemeinschaften pflegen.
Die Erosion des katholischen Milieus war jedoch trotz verschiedener gesetzlicher Regelungen wie etwa dem Jugendschutzgesetz von 1952, das den Zugang zu Gaststätten, Alkoholika und Filmvergnügen beschränkte, nicht mehr aufzuhalten. Auch die Verbandsträger mussten feststellen, dass es „den idealtypischen katholischen Jugendlichen lediglich in der Phantasie der Funktionäre, nicht aber in der Realität gab“ (162–163), so dass sich beide Organisationen trotz aller Widerstände 1961 endgültig zusammenschlossen. Die weiterhin nur locker verbundene DJK-Frauensportgemeinschaft trat sogar erst 1970 dem nunmehrigen „DJK-Sportverband Deutsche Jugendkraft, Katholischer Bundesverband für Leistungs- und Breitensport“ bei. Trotz verschiedener verbandsinterner Aktivitäten (darunter auch Bundessportfeste) sind die Vereine heute in das Sportgeschehen ihrer jeweiligen Landessportbünde und Fachverbände vollständig integriert, wobei der konfessionelle Hintergrund häufig nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.
Die einzelnen Kapitel dieser Milieustudie sind mit Ausnahme des abschließenden Österreich-Abschnitts (der die dortige DJK-Organisation der Zwischenkriegszeit als „Fremdkörper im katholischen Land“ wertet) jeweils chronologisch in Anlehnung an die herausgearbeiteten Epochen des Dachverbandes gegliedert. Inhaltlich blickt der Autor auf hohem Niveau mit einer Vielzahl genutzter Quellen primär auf die oberste Ebene mit dem Dachverband (häufig auch -verbänden), den kirchlichen Institutionen und Meinungsführern, die zumeist alles andere als ein monolithischer Block war. Vereine und lokale Organisationen finden ebenso wie das Individuum nebst dem Sportbetrieb an der Basis dagegen nur partiell Berücksichtigung, wobei in der DJK-Historie oftmals regionale Aktivitäten Fakten geschaffen haben.
Für die vorliegende Studie als nicht glücklich erweist sich, dass aufgrund der begrenzten Seitenzahl jenseits der sorgfältig erstellten Fußnoten auf ein anhängendes Literatur- und Quellenverzeichnis in Gänze verzichtet worden ist. Das tut der inhaltlichen Güte des Werkes zwar keinen Abbruch, erschwert jedoch einen tiefergehenden systematischen Zugriff auf die Thematik.
Mit der gelungenen und auch gut lesbaren Darstellung ist – um sprachlich im Metier zu bleiben – mehr als der sprichwörtliche „erste Ball“ für weitere Forschungen im Bereich des katholisch geprägten Sportgeschehens gespielt, wobei der Autor in der Schlussbetrachtung seinerseits bereits Anregungen für weitere Untersuchungen präsentiert. Als ein besonders spannendes Thema aus Sicht des Rezensenten lässt sich bei der DJK noch mehr als in einzelnen Sportarten ein häufiges, in Studien aber zumeist stark unterrepräsentiertes Phänomen beobachten: So sind Frauen und Mädchen hier gleich für Jahrzehnte komplett unter sich geblieben, wobei dieses nicht nur in Form streng gleichgeschlechtlicher Übungsgruppen, sondern auch reinen Frauen-Vereinen und sogar eines weitgehend eigenständigen Dachverbandes geschah. Auch die vorliegende Darstellung mag vielleicht nicht männlichen Narrativen folgen, orientiert sich aber an den themengebenden „männlichen“ Organisationsstrukturen.