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Fleur Weibel
Die Praxis des Heiratens. Über die Anerkennung verbindlicher Liebesbekenntnisse
(Gender Studies), Bielefeld 2024, transcript, 341 Seiten, ISBN 978-3-8376-7152-0
Rezensiert von Alexandra Regiert
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.10.2025
In ihrer Wellen schlagenden Streitschrift verkündete die französische Politologin Emilia Roig bereits 2023 „Das Ende der Ehe“: Roig identifiziert den „Bund der Liebe“ als patriarchale Institution, die Machtverhältnisse stabilisieren und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern perpetuieren würde. Die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich gestiegene Scheidungsrate – gleichwohl sich jüngst ein Rückgang abzeichnet – mag zunächst auf einen Bedeutungsschwund der Ehe verweisen; parallel aber erfreuen sich performativ inszenierte Traumhochzeiten auf Social-Media-Plattformen oder in TV-Formaten wie „Deine Hochzeit – Live!“ (RTL 2) hoher Popularität. Jene „paradox anmutende […] Gleichzeitigkeit von boomenden Traumhochzeiten und krisenhaften, ja entzauberten Zeiten für die romantische Liebesehe“ (15) bildet den Ausgangspunkt des vorliegenden Buches von Fleur Weibel, basierend auf einer 2022 im Fach Soziologie an der Universität Basel vorgelegten Dissertationsschrift.
Anhand ihres heterogenen Quellenmaterials, das sich von teilnehmenden Beobachtungen der Hochzeitsfeiern über qualitative Interviews mit zehn hetero- und vier homosexuellen Paaren bis hin zu Hochzeitsfotos, Dankeskarten oder ethnografischen Zeichnungen erstreckt, geht Weibel der leitenden Fragestellung nach, in welcher gesellschaftlichen und individuellen Situation, mit welchen Vorstellungen, Hoffnungen und Erwartungen hetero- und homosexuelle Paare heute ihre Liebesbeziehung formalisieren und was durch die konkrete Praxis des Heiratens für das Paar und für die Gesellschaft hergestellt wird (25). Weibel nimmt sich am Beispiel der Deutschschweiz großer Desiderate an: zum einen der mangelnden Berücksichtigung von Gefühlen in der soziologischen Analyse, zum anderen der marginalen Erforschung konkreter Praktiken des Hochzeitsfeierns heterosexueller und homosexueller Paare. Mit ihrer geschlechtertheoretischen Analyse strebt die Autorin an, das Heiraten als „allerpersönlichstes“ Zeichen der emotionalen Verbundenheit eines Paares im Kontext „überpersönlicher“ gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Gefühlsregime zu deuten (33–34).
Im gut strukturierten Forschungsstand (Kapitel 2) rekurriert die Autorin auf historische und soziologische Studien und skizziert die nicht linear verlaufende Genese der bürgerlichen Liebesehe von ihrer Institutionalisierung um 1900 bis zu ihrem formalen Bedeutungsrückgang in den 1990er Jahren. Dabei hätte die soziologische, stark theoriegerahmte Studie auch von einer Einbindung volkskundlich-kulturwissenschaftlicher Arbeiten, die gleichsam Binnenperspektiven verfolgen, profitiert, etwa „Wandel des Hochzeitsbrauchtums im 20. Jahrhundert dargestellt am Beispiel einer Mittelstadt: Eine volkskundlich-soziologische Untersuchung“ (1995) von Annette Remberg – die Hochzeit als historisch gewordene Brauchpraxis bleibt in Weibels Studie schließlich blass zurück.
In den Vignetten, die sich zwischen den einzelnen Kapiteln finden, schildert Weibel „verdichtete Beschreibungen“ ihrer Feldforschungssituationen und nimmt die Lesenden mit auf die besuchten Hochzeiten: vom Kopfzerbrechen über organisatorische Hürden, welche die Traumhochzeit auf einer Burg mit sich bringt, über die „Stehhilfen“ genannten Absatzschoner für die Stilettos weiblicher Gäste bis hin zu emotionalen Momenten, wie dem Entgegennehmen eines „Partnerschaftsausweises“ für gleichgeschlechtliche Paare – die „Ehe für alle“ trat in der Schweiz erst 2022 in Kraft.
Nach der Darlegung der subjekt- und affekttheoretischen Fundierung sowie der Schilderung des methodischen Vorgehens (Kapitel 3) folgt in den Kapiteln 4 bis 8 die Analyse des empirischen Materials, wobei positiv herauszustellen ist, dass Weibel die Paare selbst zu Wort kommen lässt und nah am Text operiert. Sie identifiziert den Heiratsantrag (Kapitel 4) als „happy object“, der Liebesgefühle außeralltäglich sicht- und spürbar machen soll, bei heterosexuellen Paaren jedoch Stereotype des „bindungsunwilligen Mannes“, der bestimmt, wann ein Antrag erfolgt, und der „heiratswilligen Frau“, die sehnsuchtsvoll darauf wartet, reproduziert; homosexuellen Paaren schreibt die Autorin indes höhere Flexibilität zu.
Dass die Heirat konträr zu populärkulturellen Darstellungen nicht nur eine individuelle Praxis darstellt, sondern auf einer gesellschaftlichen Ebene – insbesondere bei homosexuellen Paaren – stets eine rechtliche Absicherung und soziale Anerkennung bedeutet, fördert Weibel in Kapitel 5 zutage: Sie begreift die Heirat in Anlehnung an Rosemarie Nave-Herz als „rite de confirmation“, als „Übergangs-, Bestätigungs- und Einsetzungsritual“ (160). Das nachfolgende Kapitel spürt der „Theatralisierung von Liebe und Geschlecht“ (167) nach: Weibel setzt den Fokus hierbei auf Emotionen und affektive Zustände, die durch Praktiken und gezielt eingesetzte Objekte hergestellt werden, auf die Reproduktion von Weiblichkeit und Männlichkeit und damit verbundener heteronormativer Differenz sowie auf das hegemoniale Ideal weiblicher Schönheit; insbesondere homosexuelle Paare tragen hierbei zur Dekonstruktion genderspezifischer Stereotype bei.
Da auch in der Schweiz mindestens zwei von fünf Ehen nach etwa 15 Jahren wieder geschieden werden, eruiert Kapitel 7 das eingangs diskutierte Paradoxon der versprochenen ewigen Liebe und der Fragilität jenes Konstrukts: Dabei differenziert Weibel zwischen drei Formen von Bekenntnissen, die während einer zivilen, kirchlichen oder freien Trauung zutage treten: Während das „klassische Versprechen von lebenslanger Liebe und Treue“ (245) eine Scheidung ausschließt, erscheint die „Bereitschaftserklärung und Willensbekundung, für immer zusammenzubleiben“ (ebd.) als Hoffnung und Wunsch, wobei die Möglichkeit einer Scheidung wahrgenommen wird; ein dritter Typus unterlässt Ewigkeitsformeln hingegen gänzlich und setzt den Fokus vielmehr auf individuelle Beweggründe zur Heirat und den Wunsch nach einer erfüllenden gemeinsamen Zukunft (ebd.).
Kapitel 8 diskutiert schließlich die „Auswirkungen des Eherechts auf die Namenswahl“ (249): Anders als in Deutschland sind Doppelnamen mit Bindestrich in der Schweiz nicht möglich – dies widerspricht jedoch den Bedürfnissen der Paare, durch einen Doppelnamen Identität und Zusammengehörigkeit auszudrücken und zwingt Frauen, die eine geschlechteregalitäre Partnerschaft anstreben, dazu, sich zwischen Identität und Zusammengehörigkeit zu entscheiden – zumal alle männlichen Interviewten aufgrund internalisierter patrilinearer Normen ausschließen, ihren Namen abzulegen (281).
Resümierend (Kapitel 9) nimmt Weibel eine analytische Trennung zwischen der rechtlichen Eheschließung und der kulturell zelebrierten Hochzeit vor: Während die zivilrechtliche Trauung primär auf rechtliche Absicherung und staatliche Anerkennung abzielt, erfüllt die Hochzeit emotionale und soziale Funktionen – sie schafft ein öffentliches Ereignis, das Gemeinschaftserfahrungen bietet, Emotionen evoziert und soziale Bindungen stabilisiert. Die Autorin moniert zudem den Mangel an Alternativen zur Ehe – andere Formen des Zusammenlebens werden strukturell benachteiligt, wodurch die Ehe als hegemoniale Lebensform weiterhin privilegiert bleibt. Zugleich legt die Studie offen, inwiefern Hochzeitsinszenierungen traditionelle Geschlechternormen reproduzieren: Männer agieren im Hintergrund rational und absichernd, während Frauen in der Öffentlichkeit emotional-romantische Narrative verkörpern; jener Prozess verstärkt die Reproduktion tradierter Geschlechterbilder, wenngleich die rechtliche Gleichstellung vorangeschritten ist.
Homosexuelle Paare sind bei ihrer Eheschließung zwar mit Herausforderungen hinsichtlich gesellschaftlicher Anerkennung konfrontiert, verfügen aber über mehr Spielräume, bestehende Heiratsskripte individuell anzupassen. Dennoch zeichnet sich auch bei dieser Personengruppe ein Streben nach Normalität und sozialer Bestätigung ab, was eine Annäherung an traditionelle Heiratspraktiken fördert. Auffällig bleibt, dass heterosexuelle Männer den geringsten Gestaltungsspielraum besitzen und am stärksten an die gesellschaftlichen Erwartungen gebunden sind.
Abschließend plädiert Weibel für eine Entkopplung von Liebe und Recht, um die Praxis des Heiratens auf den Hochzeitsakt zu reduzieren – so würden die „emotionalen und sozialen Praktiken der gegenseitigen Bestätigung und des öffentlichen Zeigens des Liebesglücks“ (307) nicht mehr mit einer staatlichen Anerkennung und rechtlichen Privilegierung gegenüber nicht-verheirateten Personen einhergehen.
In der Summe hat Fleur Weibel trotz eines weitgehend deduktiven Vorgehens, das insbesondere im Fazit von einem stärkeren Rückbezug auf das empirische Material profitiert hätte, eine erkenntnisreiche, gut lesbare Studie vorgelegt und sich großer Desiderate in der qualitativ-empirischen Paarforschung angenommen: Ihr ethnografischer Ansatz bietet wertvolle Anknüpfungspunkte auch für die Empirische Kulturwissenschaft, die Ehen und Paarbeziehungen als Forschungssujets ohnehin selten in das Zentrum ihrer Untersuchungen stellt.