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Friedemann Fegert

Spinnen und Weben, das ist ihr Leben. Eine Kulturgeschichte vom Flachs zum Leinen

Freyung 2023, Edition Lichtland, 351 Seiten mit Abbildung, ISBN 978-3-947171-46-0


Rezensiert von Thomas Schwarz
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 28.10.2025

Das Werk von Friedemann Fegert trägt nicht nur einen originellen Titel, sondern überrascht durch seinen Umfang und seine enorme Themenvielfalt. Die überaus reiche Bebilderung wird dem Thema „textile Sachkultur“ gerecht. In einer großen Zahl an Fotos und modellhaften Zeichnungen, die teils vom Autor selbst aufgenommen (44–45) beziehungsweise angefertigt wurden, wird den Leserinnen und Lesern ein guter Eindruck von verschiedenen Stoffen, Farben und Mustern vermittelt. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle die von Fegert erstellte, sehr gute Grafik zur Entwicklung des Blaufärbens (303). Verschiedene Landkarten (16–17) helfen bei der räumlichen Verortung, wobei auch der geografische Ansatz des Buches zum Ausdruck kommt. Bei Karten aus dem Ausland wäre vereinzelt noch eine deutsche Übersetzung der Legende wünschenswert gewesen (17, 289). Aufgrund der Tatsache, dass der Autor sein Forschungsfeld auf die ganze Welt ausweitet, folgt er dem aktuellen Zeitgeist des globalen Denkens. Dass Fegert für sein geschichtliches Werk das Präsens als Tempus verwendet, macht das Buch sehr lebensnah, doch wirkt es bisweilen auch ungewohnt.

Insgesamt folgt das Werk einer thematischen Gliederung. Dabei erzählt Fegert die Geschichte von Flachs und Leinen „von Beginn an“. Es gelingt ihm ein einmaliger Überblick über textile Kulturen auf den unterschiedlichen Kontinenten in verschiedenen Jahrhunderten. Gleichzeitig treten jedoch auch zwei Probleme auf: Erstens führt die fehlende räumliche und zeitliche Konkretisierung zu ziemlich abrupten Gedankensprüngen, was beim Lesen leicht irritieren kann (91–95, 176–177). Zweitens werden viele Regionen der Welt im Zusammenhang mit textiler Kultur nur exemplarisch erwähnt, was das Interesse der Leserinnen und Leser zwar weckt, aber nur zum Teil befriedigt. In den letzten Kapiteln des Buches wird dann aber der Fokus auf Europa gelegt und die Entwicklung der textilen Kultur und Industrie seit der Frühen Neuzeit behandelt. Diese losen Enden in der ersten Buchhälfte werden in der zweiten leider nicht mehr verknüpft.

Lange wörtliche Zitate aus der Literatur und aus historischen Quellen geben tiefe Einblicke in den Facettenreichtum der Textilkultur. Dabei wird der Fokus häufig auf die persönliche, alltagskulturelle Note von Kleidung und deren Herstellung gelegt. Dies gelingt beispielsweise, indem Fegert die menschliche Tragik der schlesischen Weberaufstände im 19. Jahrhundert darstellt (223–230). Dadurch, dass sich diese langen direkten Zitate allerdings über weite Teile der Monografie erstrecken und – aneinandergereiht – über zwei bis drei Seiten gehen können, wird das flüssige Lesen immer wieder erschwert (173–175). Friedemann Fegert läuft dabei Gefahr, in seinem Buch die moderierende Stimme abzugeben. Die zuvor angesprochene Ausrichtung auf den Menschen in seinem kulturellen Kontext behält der Autor erfreulicherweise im gesamten Werk bei – auch dann, wenn er beispielsweise erläutert, wie viel Mehl sich ein Weber in den 1930er Jahren für seinen Lohn kaufen konnte (285).

Auch im Hinblick auf die Geräteforschung trägt Fegerts Werk vieles bei: Durch Fotos der Flachsgeräte mit detaillierten Erklärungen zu den Verarbeitungsschritten hält der Autor tradiertes Wissen für die Nachwelt und die kulturwissenschaftliche Forschung fest, welches gerade im Begriff ist, verloren zu gehen (24, 36, 39). Ab und zu findet sich bei den Abbildungen keine zeitliche Einordnung (143–145, 194–195, 218, 274). Wenn das Datum oder Jahr unbekannt sein sollte, wäre es empfehlenswert, an den entsprechenden Stellen „o.D.“ oder „o.J.“ in die Bildunterschrift einzufügen. In wissenschaftlichen Werken ist es zudem eher unüblich, dass ein Absatz aus nur einem Satz besteht (164–165, 225, 234–236).

Sehr zeitgemäß sind die über das Buch verteilten QR-Codes, die auf bequeme Art Videos zur besseren Anschaulichkeit verlinken. Hervorzuheben sind hier zum Beispiel die kurzen Filmbeiträge zur Flachsverarbeitung, die den Arbeitsprozess zeigen (37–38). Zahlreiche braun umrahmte „Infoboxen“ sind über das gesamte Werk verteilt und kennzeichnen bestimmte Abschnitte als Exkurse, also thematische Abweichungen vom normalen Textfluss. Deren große Anzahl trägt definitiv zur Lebendigkeit und Vielfalt der Monografie bei, führt jedoch auch zur Fragmentierung des eigentlichen Textes.

Fegerts Schreibstil ist angenehm und gut zu lesen. Hin und wieder finden sich einzelne Ungenauigkeiten, zum Beispiel, wenn der Autor von „Hochzeitsbrauchtum[…]“ (46) schreibt oder davon berichtet, dass „[a]lle mittelamerikanischen Stämme […] einen Gott des Webens [verehrten]“ (136). Der Brauchtumsbegriff ist heute in der Kulturwissenschaft überholt und bei pauschalen Aussagen wie letzterer ist – vor allem ohne einen entsprechenden Beleg – Vorsicht geboten. Ebenso ist es fraglich, ob sich der Bayerische Wald des 17. Jahrhunderts noch als „Urwaldgebiet[…]“ (2) bezeichnen lässt. Vereinzelt finden sich auch ungenaue Formulierungen wie zum Beispiel „in Indonesien, Bali und Thailand“ (103), „großstädtische[…] Metropolen wie Berlin“ (243) oder „VEREINIGTE [sic!] NATIONEN“ (134), welche jedoch bei einem so umfassenden und aufwändigen Werk kaum ganz vermieden werden können.

Gegen Ende des Buches widmet sich Friedemann Fegert Bereichen wie der Menschenrechts- und Umweltproblematik (323–332) sowie nachwachsenden Roh- und natürlichen Baustoffen (333–337). Während hier sehr relevante und aktuelle Themen, die mit der Textilindustrie in Verbindung stehen, angesprochen werden, fällt das eigentliche Schlusskapitel eher enttäuschend aus: Es umfasst lediglich eine Seite und eröffnet mit eingestreuten Sprichwörtern, die aus der Textilarbeit stammen, einen zusätzlichen Themenkomplex (338). Zwar werden die wichtigsten Punkte aus der Monografie noch einmal kurz genannt, doch die bei der Forschung gewonnenen Erkenntnisse des Autors – von denen es sicherlich viele gibt – bleiben den Leserinnen und Lesern verborgen.

Durch den Umstand, dass vor allem wörtliche Zitate mit Belegen versehen werden, wählt der Autor einen Mittelweg zwischen einem wissenschaftlichen Werk und einem Sachbuch. Dies mag vielleicht auch daran liegen, dass beim Einfügen von Fußnoten – angesichts der zahlreichen Abbildungen – zu wenig Platz für den eigentlichen Text bleiben würde. Hätte der Autor mit Endnoten gearbeitet, könnte sein hervorragendes Werk theoretisch jederzeit als Dissertation an einem kulturwissenschaftlichen oder geografischen Lehrstuhl eingereicht werden. Was die thematische Vielfalt sowie die Anschaulichkeit betrifft, ist diese Monografie kaum zu überbieten. Sie ist definitiv ein wertvoller Literaturtipp für alle Studierenden und Dozierenden der Kulturwissenschaft, die sich mit textiler Sachkultur oder bäuerlichen Arbeitsgeräten beschäftigen.