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Jonas Schädler

Der Stromzähler. Elektrische Energie als Konsumgut, 1880–1950

(Interferenzen 29), Zürich 2023, Chronos, 235 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-0340-1721-3


Rezensiert von Helen Ahner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 28.10.2025

Manchmal sind es kleine und unscheinbare Artefakte, die bedeutsame Geschichte(n) materialisieren. Jonas Schädler lenkt in seiner 2023 im Chronos Verlag erschienenen Dissertationsschrift den Blick auf einen solchen einfachen kleinen „schwarzen Kasten“ (143): Der Stromzähler dient ihm als Ausgangspunkt für nichts weniger als eine Geschichte des Alltäglich-Werdens von Elektrizität. Die in der von David Gugerli herausgegebenen Reihe „Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik“ gedruckte Monografie setzt am Aufbau einer elektrischen Infrastruktur in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts an und findet einen vorläufigen Schlusspunkt in den 1950er Jahren, in denen Elektrizität im Alltag zum gewöhnlichen und gewohnten Konsumgut geworden war. Geografisch nimmt die Untersuchung ihren Ausgangspunkt in der Schweiz, verlässt den für die Analyse zu engen, nationalen Kontext aber wo nötig und folgt den transnationalen Netzwerken der Stromzählerwirtschaft. So zeichnet Schädler das Bild einer global vernetzten und durchaus auch von kolonialen Strukturen profitierenden Schweizer Elektrizitätswirtschaft.

Wie wird elektrischer Strom im Alltag sichtbar? Wie tritt er als Konsumgut in Erscheinung? Wodurch wird sein Verbrauch gemessen und abgerechnet? Wie etablieren sich vertrauensvolle Beziehungen zwischen Stromproduzierenden und -konsumierenden? – Entlang dem erklärten Ziel „die Implementierung des Stromzählers im Zuge der Elektrifizierung zu verstehen und im Zusammenspiel mit den beteiligten Akteurinnen und Akteuren zu begleiten“ (11), beantwortet Schädler solche und weitere Fragen. Die eingenommene Perspektive einer sozial- und kulturhistorisch argumentierenden Technikgeschichte versteht Technik konsequent als in verschiedenen gesellschaftlichen Dimensionen verankert und zeigt mittels Bezüglichkeiten, Beziehungen und Verknüpfungen auf, dass der Stromzähler als infrastruktureller Knotenpunkt, Objekt der Übersetzung und Sichtbarmachung sowie als vertrauensstiftende moralische Instanz fungierte.

Der Autor verfolgt drei Erkenntnisinteressen: Er will erstens verstehen, warum Stromzähler notwendig wurden und welche Normierungen ihre Entwicklung begleitete; ihn interessiert zweitens der Stromzähler als Massenprodukt und die damit verbundenen Produktionsbedingungen sowie wirtschaftlichen Strategien; drittens richtet er seine Aufmerksamkeit auf diejenigen, die ihn nutzen, sowie die alltäglichen Praktiken im Haushalt, in die der Stromzähler eingebunden war. Entsprechend gliedert sich die Untersuchung in drei Hauptteile: Zunächst stehen Elektrifizierungsprozesse und die damit verbundene Infrastrukturierung im Vordergrund. Strom, der in immer mehr Haushalten Einzug fand, musste produziert, verteilt, gemessen, kontrolliert und verkauft werden. Stromzähler fungierten als Regulations- und Stabilisierungsinstanzen der Beziehung von Strombeziehenden und Stromproduzierenden (35): Sie machten den unsichtbaren Stromverbrauch sichtbar und halfen dabei, die Preisbildung zu plausibilisieren. Dabei war die Messbarmachung des Stromverbrauchs keine triviale Aufgabe und es dauerte, bis sich in den 1890er Jahren die Kilowattstunde als Maßeinheit und der auf dem Ferraris-Prinzip beruhende Induktionszähler als Messinstrument etablierten. Mit der Quantifizierung von Elektrizität gingen auch ihre staatlich gesteuerte Normierung und Regulierung einher. Um 1900 gründeten sich in der Schweiz Kommissionen und 1909 das Eidgenössische Amt für Mass und Gewicht, die sich unter anderem die (gesetzliche) Regulierung der Elektrizitätsindustrie zur Aufgabe machten – auch dafür nahmen geeichte und geprüfte Stromzähler eine zentrale Rolle ein.

Auf Basis der dargelegten Ausgangsbedingungen erörtert der zweite Teil der Arbeit am Beispiel der Zuger Firma Landis & Gyr die ökonomische und industrielle Seite der Stromzählerentwicklung und Elektrizitätsverbreitung. Neben einem ausführlichen Überblick über die Unternehmensgeschichte liefert Schädler eine Art Netzwerkeanalyse, die verdeutlicht, wie die Landis & Gyr Stromzähler und das damit verbundene Wissen zirkulierten und wie der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens erst in Verbindung, Austausch und Beziehung mit anderen Akteurinnen und Akteuren im In- und Ausland entstehen konnte. Insbesondere der Blick auf die „Propaganda“, die Werbemaßnahmen, die Landis & Gyr ergriff und die sich im Verlauf der 1930er Jahre immer mehr professionalisierten und ausdifferenzierten, bringt dabei über Umwege die Perspektive der Zählerabnehmenden und damit verbundene Nutzungspraktiken sowie implizite Annahmen über den Wissensstand der Konsumierenden mit in die Analyse ein. Hier ergeben sich – trotz des vom Autor monierten Mankos fehlender Egodokumente im Quellenrepertoire (17) – Einblicke in die Erfahrungs- und Verwendungsgeschichte des Geräts, die besonders kulturwissenschaftlich interessierte Lesende ansprechen dürften. Der zweite Teil befasst sich zudem damit, wie die Schweiz, „wenn sie auch keine eigenen Kolonien hatte, doch durch wirtschaftliche Verflechtungen am Kolonialismus beteiligt war“ (123). Anhand der Aktivitäten von Landis & Gyr in Indien wird deutlich, wie die Firma „indirekt“ (134) am Kolonialismus teilhatte und davon profitierte. (Elektrische) Infrastruktur und die damit verbundenen Produkte sowie Wissensbestände zeigen sich als profitable Formen des Regierens.

Der dritte Teil wendet sich dem Stromzähler und seinem sich wandelnden Stellenwert im Haushalt zu. Schädler beschreibt vier Praktiken, in die der Stromzähler involviert war: Verstehen, Kontrollieren, Manipulieren und Regulieren. Anhand dieser Praktiken zeigt sich der Sitz des Gerätes im Alltag. Häufig von Hausfrauen verwaltet, materialisierte es den Stromkonsum und half dabei, sich mit der zunächst ungewohnten Energiequelle bekannt zu machen und sich daran zu gewöhnen. Den fortschreitenden Gewöhnungsprozess und die damit verbundene Aufmerksamkeitsverschiebung beschreibt Schädler treffend durch die sich wandelnde Platzierung des Stromzählers: War er zunächst meist prominent neben der Haustüre oder in der Wohnung angebracht, wo er für häufige Kontrollen leicht zugänglich war, wanderte er in den 1950er Jahren oft in den Keller und wurde nur noch in größeren Intervallen aufgesucht – Stromkonsum gehörte nun selbstverständlich zum Alltag und musste nicht mehr ständig vor Augen geführt werden. Gerade in solchen Beobachtungen, die die Materialität des Stromzählers und die damit zusammenhängenden Praktiken mit der kulturellen Bedeutungsebene und der Argumentation der Arbeit verknüpfen, liegt ihre große Stärke. Womöglich hätte sich basierend auf der im letzten Teil ausgebreiteten praxistheoretischen Perspektive sogar noch mehr über individuelle Nutzung, Bedeutung und Erfahrungen herausarbeiten lassen. Gerade diese Dimension des Stromzählers tritt, wie der Autor selbst kritisch feststellt, etwas in den Hintergrund.

Mit der Geschichte des Stromzählers leistet Schädler einen lesenswerten Beitrag zur Elektrifizierungsgeschichte, verweist auf die Aussagekraft von materieller Kultur und Infrastruktur und setzt mit seinem konsequenten Blick auf Vernetzungen und Verbindungen den Anspruch einer Technikgeschichte als Kulturgeschichte vorbildlich um. Seine Analyse des Stromzählers als Materialisierung und Kommodifizierung von Elektrizität ermöglicht darüber hinaus Einblicke in die sich wandelnden Praktiken des Stromkonsums und deren Sitz im Alltag – eine Perspektive, die insbesondere auch Zugehörende der Nachfolgedisziplinen der Volkskunde ansprechen dürfte. Auf den gut 200 präzise und zugänglich geschriebenen Seiten wird einmal mehr deutlich, dass es gerade die scheinbar banalen Dinge des Alltags sind, die unsere Aufmerksamkeit besonders verdient haben.