Aktuelle Rezensionen
Britta Kägler/Christian Handschuh (Hg.)
400 Jahre Akademisches Leben in Passau. Vom Jesuitenkolleg zur modernen Hochschule
Regensburg 2024, Pustet, 244 Seiten, mehrere Abbildungen
Rezensiert von Ernst Schütz
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 28.10.2025
Universitätsjubiläen stehen hoch im Kurs – und das schon seit jeher (genauer gesagt seit der Reformation); sie verfügen damit per se über eine gefestigte Tradition, die freilich oft weniger das tradierte Objekt als die Selbstsicht ihrer Ausrichter und des jeweiligen Zeitgeistes zum Besten gibt. Daran ist jedoch grundsätzlich nichts falsch. Die anhaltende „Jubiläumseuphorie“ (Markus Drüding, Akademische Jubelfeiern, 2014), vielleicht auch „Jubiläumitis“ (Marko Demantowsky, Bausteine einer Geschichtsdidaktik, 2014) der höheren Bildungslandschaft mag ansteckend sein, ist aber weder krankhaft noch auf diese beschränkt, sondern im Gewande einer offenen Weltanschauung sogar dazu angetan, das Reflexionsvermögen anzuregen. Noch interessanter gestaltet sich die Jubiläumsausbeute, wenn das dazugehörige Symposium und die Festschrift nicht ausschließlich von der betreffenden Universität ausgehen, sondern wenn stattdessen in einem viel breiter angelegten, kooperativen Rahmen versucht wird, ein „multiperspektivisches Bild lokaler Hochschultradition zu zeichnen“ (Tagungsbericht in H-Soz-Kult vom 7. Februar 2023). Nichts anderes haben sich die Veranstalter des Symposiums, nämlich der Verein für Ostbairische Heimatforschung e.V. und das Institut für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen (IKON) in Passau, vorgenommen, und nichts anderes haben die beiden Herausgeber in Buchform umzusetzen gewagt.
Als Ausgangspunkt hierfür wählen sie die Gründung des Passauer Jesuitenkollegs, aus dessen Mauern im Jahre 1622 eine fünfte Gymnasialklasse für das Theologiestudium hervorgegangen war. Fünf einschlägige Autoren, allesamt Passauer Provenienz, unternehmen es auf den folgenden 70 Seiten, die bis 1773 währende Zeit jesuitischer Dominanz im Bereich der höheren Bildung unter die Lupe zu nehmen, beginnend mit einer einleitenden Gesamtschau und konkreten Verortung durch Hannelore Putz (S. 13-24). Sandra Krump präsentiert das Passauer Jesuitentheater als eine – zumindest potentielle ‒ „(Vor-)Schule des akademischen Denkens“ (S. 25-33), während Markus Eberhardt die „eigene Music“ der Jesuiten in der ihnen zugehörigen Michaelskirche (S. 35-44) und Martin Hille die – wie auch andernorts ‒ spannungsreiche Beziehung zwischen Studenten und Stadt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (S. 45-63) zum Gegenstand ihrer Darstellungen machen. Britta Kägler beschließt die Epoche mit ihrem Blick auf den Übergang ins 19. Jahrhundert „zwischen aufklärerischem Anspruch und neuhumanistischem Bildungsideal“ (S. 65-81), der sich hier nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Säkularisation und Mediatisierung zu vollziehen hatte und inhaltlich zum zweiten, deutlich kürzeren Hauptteil des Bandes überleitet. Hans-Christof Kraus führt den Leser sodann von dem erst 1833 als Ersatz für die 1803 aufgelöste fürstbischöfliche Studienanstalt errichteten Lyzeum (seit 1923 „Philosophisch-Theologische Hochschule“) bis ins Jahr 1933 (S. 83-94) und somit in das aktuelle Fahrwasser staatlicher bayerischer Regie. Der sehr kurze, die Jahre von 1612 bis 1995 umfassende Beitrag von Universitätsarchivar Mario Puhane mitsamt Literaturliste (S. 95-100) dient de facto als Zusammenfassung des historisch-chronologischen Teils, der hier jedoch zu früh platziert ist, nachdem die Zeitgeschichte im Rahmen von Helmut Böhms profunder Auseinandersetzung mit den Restriktionen der NS-Zeit (S. 145-180) und Walter Schweitzers Sicht der Gründung und ersten Jahrzehnte der heutigen Universität Passau (S. 181-193) erst an späterer Stelle dargeboten wird.
Zu jenem „bunte[n] Strauß“, den die Herausgeber im Vorwort versprechen, wird der Band schließlich durch die zusätzlich auf knapp 100 Seiten verteilten Beiträge verschiedenster Natur und Couleur, so zur Geschichte der Passauer Studentenverbindungen (Matthias Stickler, S. 101-123), zur „Sprache der Studierenden“ (Günter Koch, S. 125-144) sowie vor allem zur Gegenwartsbestimmung und zur antizipierten Zukunft der akademischen Bildung in Passau: Von der Entstehung des architektonischen Grundkonzepts der Universität (Elena Mühlbauer, S. 195-204) über den Gewinnerentwurf des Realisierungswettbewerbes (2019‒2021) für das Internationale Wissenschaftszentrum am Spitzberg (Alexandra Binder, S. 205-229) bis hin zur Frage der Nachhaltigkeit „als weicher Standortfaktor und potenzieller Imageträger“ von Stadt und Universität (Jörg Scheffer/Werner Gamerith, S. 231-242) entfaltet sich eine Vision, die sich an der Wirklichkeit zwar immer noch bzw. erst noch messen lassen muss, aber immerhin glaubhaft aufzeigt, dass die jüngste staatliche Universität Bayerns und die uralte Bischofsstadt Passau in einer Symbiose stehen, die in durchaus authentischer Weise auf ältere Erfahrungswerte zurückgreifen kann.
Freilich kann ein Band wie dieser keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder bahnbrechende neue Forschungsergebnisse erheben ‒ so reizend es sicherlich auch wäre, etwa das Geschehen in der Dreiflüssestadt mit anderen Hochschulorten zu vergleichen, dem Auswärtsstudium ausgewählter Passauer im frühneuzeitlichen Ingolstadt, Salzburg oder Wien nachzuspüren oder die mittelalterliche Stiftstradition in Passau als potentiellen Wegbereiter für die unter den Jesuiten einsetzende akademische Tradition unter die Lupe zu nehmen. Und wiewohl die hier praktizierte Anordnung der Beiträge verhandelbar erscheint, so bieten diese in ihrer Überschaubarkeit und guten Lesbarkeit doch Gewähr dafür, dass auch breitere Leserkreise erreicht werden können ‒ mit einer Publikation aus der Region für die Region, so wie es sich für einen guten Historischen Verein und für die landeshistorische Zunft eben auch gehört. Die Wahl des Verlages wird diesem Ansinnen sicherlich förderlich sein.