Aktuelle Rezensionen
Dieter J. Weiß/Klaus Herbers/Arnold Otto (Hg.)
1219 – Nürnberg wird frei. 800 Jahre Großer Freiheitsbrief
(Nürnberger Forschungen 33), Neustadt an der Aisch 2023, Ph.C.W. Schmidt, 294 Seiten
Rezensiert von Peter Fleischmann
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 28.10.2025
Als König Friedrich II. am 8. November 1219 seiner „über alles geliebten Stadt Nürnberg“ den später sogenannten Freiheitsbrief ausfertigte, war dies die erste Urkunde, die Bürgermeister und Rat in Gewahrsam nehmen konnten. Das Jubiläum der Ausstellung gab den Professoren Dieter J. Weiß, LMU München, und Klaus Herbers, FAU Erlangen-Nürnberg, sowie Arnold Otto, Leiter des Stadtarchivs Nürnberg, Anlass, diese mit 57 cm Höhe und 44 cm Breite sehr stattliche Königsurkunde mit anhängendem Wachssiegel aus verschiedensten Perspektiven analysieren und interpretieren zu lassen.
Den Auftakt macht Dieter J. Weiß mit einer breit gefächerten Studie über „Nürnberg im Hochmittelalter“ (S. 1-15), in deren Mittelpunkt er die Frage nach Freiheit rückt. Seit der recht zufälligen Erstnennung im Jahr 1050 förderten die salischen Herrscher diesen „locus imperialis“, dessen Stadtherrschaft sie vor Zugriffen der Herzöge von Bayern oder der Burggrafen schützten. An diese Politik knüpften die Staufer an, bauten einen Burg- und Pfalzort auf und ließen südlich der Pegnitz eine Plansiedlung anlegen. Dass Nürnberg in dieser Phase zu den am heftigsten umkämpften Städten des Reichs zählte, hebt Gerhard Lubich hervor (S. 17-30). Er konstatiert ein besonderes Näheverhältnis zwischen König Konrad III. und Nürnberg, das als Repräsentationsort des Königtums zu einem integralen Bestandteil des Reichs wurde. Zunächst mit vergleichendem Blick auf die ältere Egidienkapelle des Schottenklosters und die 1209 dem Deutschen Orden geschenkte Jakobskirche widmet sich Enno Bünz den Anfängen der Stadtpfarreien Sebald und Lorenz (S. 31-73). Dass beide zunächst Filialkirchen von Poppenreuth und Fürth waren, beruht auf dem älteren, schon im Hochmittelalter ausgebildeten Niederkirchenwesen. Wie bei vielen anderen Städten hatte die kirchliche Entwicklung nicht mit der des Siedlungswesens mitgehalten, wobei Nürnberg dies- und jenseits der Pegnitz sogar innerhalb zweier Pfarrsprengel wuchs. Mit guten Gründen weist Enno Bünz auf die kirchenrechtlich schwierige Abtrennung von der Mutterkirche hin, weil angesichts des enormen Bevölkerungswachstums auch finanzielle Ansprüche entstanden. Spätestens nach Beginn der großen Kirchenbauten bei St. Sebald um 1230/40 und St. Lorenz um 1250 hat man die Mutterkirchen nicht separiert, sondern mit den beiden Nürnberger Pfarreien unter Verlegung des Pfarrsitzes noch im 13. Jahrhundert vereinigt. Die sehr hilfreichen Pfarrerlisten am Ende des Beitrags geben detailliert Auskunft über die geistliche Versorgung der Mutterkirchen durch Pfarrvikare.
In seinen Ausführungen über die Geschichte der jüdischen Gemeinde Nürnbergs hebt Andreas Weber zu Recht hervor, dass bis zur sogenannten Rintfleisch-Verfolgung 1298 etwa 10 Prozent der Einwohner Juden gewesen sein dürften (S. 75-95). Infolge antijüdischer Gewalttaten im Reich hatten Juden seit 1146 hier Zuflucht gefunden und die jüdische Gemeinde blühte im 13. Jahrhundert regelrecht auf. Bemerkenswert ist der Hinweis von Weber, dass das Standardwerk von Arnd Müller aus dem Jahr 1968 im mittelalterlichen Teil auf den Forschungen von Reinhold Schaffer von 1936 jedoch unter Tilgung des antisemitischen Tenors beruht. Helmut Flachenecker rückt den Grenzbereich der Diözesen Würzburg, Bamberg und Eichstätt in den Mittelpunkt seiner Ausführungen (S. 97-112). Er interpretiert die Ansiedlung irischer Benediktiner bei dem nördlich der Pegnitz gelegenen Königsgutkomplex (neben St. Jakob unter der Obhut des Deutschen Ordens) als bewusste Abgrenzung gegenüber dem Bischof von Bamberg, denn sie waren wegen ihrer fremdländischen Herkunft stärker auf den Schutz des Königs angewiesen. Peter Rückert spürt den Zisterzen Ebrach und Heilsbronn mit ihren Wirtschaftshöfen in Nürnberg, aber auch anderen königlichen Städten nach (S. 113-131), und Ferdinand Opll sucht den Vergleich zwischen den Pfalzstädten Nürnberg, Hagenau und Gelnhausen in der Stauferzeit (S. 133-162).
Dank seiner diplomatischen Expertise kann Christian Friedl am Beispiel des Privilegs vom 8. November 1219 ausführen, dass die in der Arenga formulierte Hervorhebung des königlichen Orts als „karissima civitas nostra“ singulär gewesen ist und eine besondere Zuneigung Friedrichs II. erkennen lässt (S. 163-177). Damit begründete der Staufer die Reichsunmittelbarkeit Nürnbergs, förderte die Rechtssicherheit der Bürger und gestattete kollektive statt individueller Abgabenpflicht. Ausgehend von der Städtepolitik Friedrichs II. im „regnum Siciliae“ sieht Knut Görich Privilegierungen als Endprodukt eines kommunikativen Prozesses und letztlich als Belohnung für erwiesene Treue (S. 179-196). Bei der Vorgeschichte des Freiheitsbriefs von 1219 sind allerdings keine konfrontativen Vorfälle bekannt, auf die sich Ministeriale oder Bürger gegenüber dem König hätten beziehen können, der ihnen so weitreichende rechtliche wie wirtschaftliche Vergünstigungen gewährte. Die These von „älteren, verlorenen, aber erschließbaren Barbarossaurkunden zu Gunsten der Kaufmannschaft“ (S. 194) muss jedoch zurückgewiesen werden, denn an keiner Stelle in der Nürnberger Überlieferung ist davon die Rede und „die Kaufmannschaft“ war keine adressierbare Rechtspersönlichkeit. Der Bezug auf „antiqua iura“ muss ähnlich interpretiert werden wie die Leerstelle im Freiheitsbrief von 1219, in dem nirgends von der Stadtsteuer oder einer Verpflichtung zur Ausrichtung von Hoftagen die Rede ist.
Klaus Herbers widmet sich der kirchlichen Entwicklung und dem religiösen Aufbruch am Anfang des 13. Jahrhunderts, indem er das Laterankonzil von 1215, die hierokratische Rolle Papst Innozenzʼ III. sowie das Aufkommen der neuen Orden von Dominikanern und Franziskanern analysiert (S. 197-210). Anhand von zwölf instruktiven Karten und Diagrammen erläutert Caspar Ehlers den Aufstieg der Kaiserpfalz aus einer anfänglichen Randlage zu einem zentralen Ort des Königtums schon im 12. Jahrhundert und bietet am Ende noch eine dreiseitige Übersicht der königlichen Aufenthalte in Nürnberg (S. 211-235).
Erfreulicherweise schließt Anja Grebe mit profunden kunsthistorischen Ausführungen über die Doppelkapelle der Kaiserburg und sakrale Bauwerke der Stauferzeit in Nürnberg den zeitlichen Horizont des Privilegs von 1219 (S. 237-269). Abgesehen von der als „atemberaubend“ bezeichneten Fülle von fast zwanzig verschiedenen Abschriften für die diplomatische Edition (S. 171) resümiert Franz Fuchs, dass erstmals Johannes Müllner in seinen Annalen von 1623 eine „historische Einordnung dieses berühmten Diploms“ vorgenommen hat, denn die Ausführungen von Sigismund Meisterlin und die Phantasien von Georg Rüxner waren alles andere als seriös (S. 271-280).
Wie zu erwarten, beschließen Register der Personen und Orte diesen äußerst ertragreichen Sammelband, mit dem der Freiheitsbrief von 1219 in jeder Hinsicht fachkundig und ausführlich interpretiert worden ist.