Aktuelle Rezensionen
Sylvina Zander
Zwischen „ehrbar“ und „liederlich“. Zur Geschichte der Frauen in Oldesloe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert
Hamburg 2024, Wachholtz, 324 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-529-05088-6
Rezensiert von Silke Göttsch-Elten
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025
Das Buch von Sylvina Zander belegt eindrucksvoll, dass Frauengeschichte trotz vieler Veröffentlichungen noch lange nicht auserzählt ist. Sie konzentriert sich in ihrer Darstellung zwar auf einen Ort, die schleswig-holsteinische Kleinstadt Oldesloe, aber nimmt einen großen Zeitraum, nämlich zwei Jahrhunderte, in den Blick. Als Archivarin der Stadt Bad Oldesloe verfügt sie nicht nur über profunde Kenntnisse des eigenen Archivbestandes sondern auch anderer relevanter Archive in Schleswig-Holstein sowie der Stadtgeschichte. Zugleich erweist sie sich aber auch als ausgewiesene Kennerin des aktuellen Forschungsstandes in der historischen Frauengeschichte. Damit bringt sie die besten Voraussetzungen mit, dem ehrgeizigen Projekt, eine „Geschichte der Frauen in Oldesloe“ über zwei Jahrhunderte zu schreiben, gerecht zu werden. Denn sie will, soweit es die Quellen erlauben, der Geschichte von Frauen jeglichen Standes und Alters nachspüren, um so, wie sie selbst schreibt, jenseits der großen theoretischen Konzepte, die „tatsächlichen Verhaltensweisen und Lebenswirklichkeiten“ (11) in den Blick zu nehmen.
An Quellen zu einem solchen Vorhaben fehlt es nicht. Wer schon einmal mit Archivalien, insbesondere Kriminalitätsakten, gearbeitet hat, weiß um die Präsenz von Frauen, wobei quellenkritisch, wie Sylvina Zander hervorhebt, anzumerken ist, dass dabei vor allem Unterschichtenfrauen in den Fokus geraten, die aufgrund ihrer Lebensverhältnisse sehr viel stärker prädestiniert waren, mit Gesetzen und Regeln der vormoderne Gesellschaft in Konflikt zu geraten.
Der erste Teil des Buches führt in die Geschichte und politische Verfasstheit der Stadt Oldesloe ein, gibt Einblicke in die Sozialstruktur und rechtliche Situation von Frauen und bietet damit die notwendigen Informationen, um die folgenden Ausführungen in größere Zusammenhänge einzuordnen.
Der zweite Teil nähert sich in drei Kapiteln aus unterschiedlicher Perspektive dem Leben von Frauen. Zunächst liegt der Fokus auf den biografischen Erfahrungen „von der Kindheit bis zum Alter“. Dann geht es um eines der Kernthemen moderner Geschlechtergeschichte, nämlich den weiblichen Körper, der dem vormodernen Verständnis folgend über das ständische Prinzip der Ehre definiert ist und deshalb in besonderer Weise das Normensystem jener Zeit widerspiegelt. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit „weibliche(r) Delinquenz“, wobei ein besonderes Augenmerk auf Hexenprozesse gelegt wird, von denen drei in Oldesloe aktenkundig sind.
Der dritte und sehr viel knappere Teil wirft einen Blick in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem die überall stattfindende Modernisierung die Lebensverhältnisse auch von Frauen verändert. Schwedische Dienstmädchen kommen als Wanderarbeiterinnen in die Stadt und zugleich wird für bürgerliche Schichten die Frage der Mädchenbildung zu einem Thema, an dem neue soziale Positionierungen und bürgerliche Ideale verhandelt werden.
Das eigentliche Kernstück des Buches allerdings ist der zweite Teil, in dem die unterschiedlichen Lebensverhältnisse und -entwürfe von Frauen in der Vormoderne, bis ins beginnende 19. Jahrhundert thematisiert werden. Die große Herausforderung liegt darin, den unterschiedlichen sozialen Zugehörigkeiten gerecht zu werden. Was bedeutet also Kindheit und Jugend für eine junge Frau aus der kleinstädtischen Oberschicht im Gegensatz zu jenen aus den unteren sozialen Milieus. Wie sehen die Geschlechterbalancen in der Ehe aus, wie werden eheliche Konflikte gelöst beziehungsweise welche Spielräume gab es überhaupt in jener Zeit und wie gestaltete sich das Leben von Ledigen beziehungsweise Witwen oder gar Bettlerinnen, also Frauen, die jenseits einer Absicherung in der Ehe ihr Leben führten.
Am Diskurs über den weiblichen Körper, von Ehrkonzepten über Geburtswissen bis hin zu (Un-)Sittlichkeitsdebatten, lässt sich eindrücklich verfolgen, wie Geschlechterrollen konzipiert waren und wie Weiblichkeit als binäres Konzept erfahrbar gemacht wird. In diesen Kontext gehört auch die Beschäftigung mit weiblicher Delinquenz, das heißt mit der Frage welche Vergehen, oft als typisch weiblich markiert, vor Gericht verhandelt wurden.
Es ist vor allem die Dichte der Quellen, die zwar nicht für alle sozialen Schichten gleichmäßig vorliegen, die aber dennoch, wenn man es wie die Autorin versteht, sie konzentriert zu lesen, einen erstaunlich differenzierten und tiefen Einblick in eine kleinstädtische Gesellschaft geben und vor allem die Lebenswirklichkeit von Frauen in der Vormoderne beleuchten. Sicher gibt es eine Reihe von Untersuchungen zur Frauengeschichte der Frühen Neuzeit, aber das Verdienst dieser Arbeit liegt darin, dass die Perspektive nicht thematisch begrenzt ist, sondern hier gewissermaßen ein Panorama aufgemacht wird. Der Fokus ist lokal begrenzt, dafür aber wird eine breite Zeitspanne abgedeckt und es werden alle Quellen einbezogen, die Hinweise und Aufschlüsse über Frauenleben in Oldesloe geben. Damit gelingt es Sylvina Zander, einen vielschichtigen Einblick in die Lebensverhältnisse sehr unterschiedlicher Frauen zu geben. „Die Quellen sprechen zu lassen“ ist allemal nicht der schlechteste Ansatz, um uns Einblicke in historische Gesellschaften zu ermöglichen. Damit ist das Buch weit über den lokalen Rahmen hinaus für alle, die an Geschlechtergeschichte interessiert sind, ausgesprochen lesenswert.