Aktuelle Rezensionen
Matthias Beitl/Christian Elster/Alexa Färber/Anna Weichselbraun (Hg.)
Problematisieren und Sorgetragen. Kulturanalytische Konzepte von Öffentlichkeit und Arbeitsweisen des Öffentlichmachens
(Buchreihe der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde 30), Wien 2023, Selbstverlag des Vereins für Volkskunde, 175 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-900358-36-5
Rezensiert von Christine Hämmerling
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025
Veröffentlichung, Wissenstransfer, Public Anthropology, Citizen Science, Wissensdemokratisierung und Wissenspopularisierung sind in den vergangenen Jahrzehnten häufig genutzte Begriffe, die auf einem veränderten Verständnis von Öffentlichkeit basieren: Die Relationen zwischen Forschenden und Beforschten, zwischen Bildungseinrichtungen und Auszubildenden, zwischen Universitäten und außeruniversitären Öffentlichkeiten werden neu geordnet, Hierarchien werden sichtbar gemacht und zugleich infrage gestellt, was mit einem ganzen Rattenschwanz an gegenseitigen Verantwortungen, Bedarfen und Erwartungshaltungen einhergeht. Besitzrecht, Zugänge und herkömmliche Wissenspraktiken erfordern Rechtfertigungen oder Änderungen. Angesichts einer Zeit pluraler politischer wie ökologischer Krisen stehen Fragen zu derlei Verantwortungen wissensproduzierender Einrichtung gegenüber einer auf dieses Wissen angewiesenen Öffentlichkeit noch einmal neu im Zentrum und tangieren somit auch das Fach und Fachverständnis der Empirischen Kulturwissenschaft/Europäischen Ethnologie – nicht zuletzt in Hinblick darauf, wie Wissenstransfers Machtstrukturen reproduzieren, wie sich Wissen postkolonial reflektieren lässt oder wie sich Medienträger auf Transfers auswirken.
Die Tagung „Problematisieren und Sorge tragen: Kulturanalytische Konzepte von Öffentlichkeit und Arbeitsweisen des Öffentlichmachens“ hat sich – noch unter dem Österreichischen Fachverband für Volkskunde in Kooperation mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien – der Frage angenommen, was Öffentlichkeit in verschiedenen Alltagskontexten bedeutet und welche praktischen Konsequenzen für Arbeitsweisen des Öffentlichmachens damit verknüpft sind (7) – in Universitäten, in Vereinen, in Museen. Unter Bedingungen der Pandemie konnte die Tagung nicht 2020 im Volkskundemuseum Wien, sondern erst 2021 mit dessen Unterstützung online stattfinden. Formen und Formate des Wissensaustauschs mussten entsprechend modifiziert, Kamingespräche in den virtuellen Raum übersetzt und andere Präsentationsformen auf eine Webseite verschoben werden. Schon im Modus der Tagung zeigten sich also die vom Alltagsleben durchwirkten wie beschränkten Möglichkeiten, die auch in anderen Kontexten Potenziale des Wissenstransfers immer wieder einschränken.
Die Tagung fokussierte unterschiedliche Medienformate, Potenziale kollaborativer Forschungen sowie Herausforderungen in der gegenwärtigen Museumsarbeit (8). Inspirieren ließ man sich etwa von der Karlsruher Ausstellung „Making Things Public“ von 2005, die das Ineinanderwirken von Wissenspublikation und Herstellung von Öffentlichkeit veranschaulichte und zugleich Beispiel dafür war, dass oft erst das Ausstellen von Dingen diese zu Wissensobjekten macht. Öffentlichmachen, Verwissenschaftlichung und Vergesellschaftung hängen demnach eng zusammen (11).
Dass Tagungsband wie Tagung auch das „Problematisieren und Sorgetragen“ in den Titel nahmen, erschien der Rezensentin zunächst weniger thematisch eingrenzend denn erweiternd und verflachend, doch das Sorgetragen wird auf die Wissensforscherin Marie Puig de la Bellacasa zurückgeführt: Mit „matters of care“ beschreibt sie „ethisch begründete, feministische und in die Zukunft gerichtete Praxis […], die unvorhergesehene Akteur:innen einzubinden weiß, um ein Anliegen als öffentliches Anliegen zu verwirklichen“ (13). Hier drückt sich also nicht zuletzt das Ansinnen aus, Öffentlichmachen als ethisch-verantwortlich eingebunden zu situieren.
In ihrer Einleitung beschreiben Anna Weichselbraun, Alexa Färber, Christian Elster und Matthias Beitl den Anspruch wie die Durchführung der Tagung und rahmen das Öffentlichmachen kurz theoretisch, bevor sie die Vorträge der Tagung vorstellen – auch jene, die nicht im vorliegenden Band publiziert sind – was zwar ein umfassenderes Bild zeichnet, aber zugleich den Eindruck von Lücken hinterlässt. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Beiträge im Buch nicht thematisch gruppiert wurden. Stattdessen folgen auf drei recht unterschiedlich ausgerichtete Auftaktstatements zunächst sechs thematisch gebündelte Panelbeiträge und ihnen dann vier Round Tables. Das ist bedauerlich, stellen die einzelnen Beiträge und Round Tables doch inhaltliche Bereicherungen der Diskussionen in ihren jeweiligen Feldern dar.
Als Auftaktstatements liefert zunächst Klaus Schönberger eine politische Grundierung, indem er Kulturanalyse als Modus des Widerstands gegen populistische Vereinnahmungen skizziert. Eine kultursoziologische Basis errichtet Barbara Thériault, die beispielhaft mit ihren „soziologischen Feuilletons“ (27) dazu ermuntert, alternative, schönere Schreibweisen zu erproben, um die Perspektive der Soziologie oder Alltagskulturforschung zu popularisieren und dabei „neue Perspektiven zu eröffnen“ (29). Matthias Beitl vom Volkskundemuseum Wien plädiert dazu angesichts politischer Herausforderungen und aktivistischer Proteste auch als Museum seinen „Möglichkeitsraum“ zu nutzen, um ebenfalls „Stellung zu beziehen“, um „näher an eine mögliche Betroffenheit der Menschen“ heranrücken zu können (32).
Eine Art theoretischer Einführung stellt der erste Panelbeitrag von Martina Röthl dar: Der Text beleuchtet Praktiken des Öffentlichmachens als Forschungsgegenstand und offeriert damit eine Art Meta-Perspektive, die beim Aufbrechen der Dichotomie privat-öffentlich im Zweite-Welle-Feminismus ansetzt, mit Gayatri Chakravorty Spivak auf Möglichkeiten dezentrierter Öffentlichkeiten verweist und derlei Spielarten der Relationierung des Öffentlichen am Beispiel der Genese der Kommission für Frauen- und Geschlechterforschung untersucht. Denn die Kommission, so zeigt sich, arbeitete stetig an Strategien der Vermittlung eines „Geschlechterwissen[s]“ (40) – nicht zuletzt in Reaktion auf populistisch-konservative Gegenbewegungen.
Eine „Analytische Perspektive auf Öffentlichkeit“ (57) bietet Roland Wolfgang Peball, der diskursanalytisch an einem verräumlichten Schadstoff-Skandal nachvollzieht, wie Öffentlichkeiten sich zwischen Kontroll- und Gefahrendiskurs (63) verändern und welche Folgen sich für kulturwissenschaftliche Problematisierungen ergeben.
Fragen nach der „Sichtbarkeit marginalisierter Menschen in politischen Diskursen“ (69) widmet sich der auf einer ethnografischen Dissertation basierende Beitrag von Gerhard Schönhofer, der an einem Filmfestival, das von fluchterfahrenen Menschen bestückt und organisiert wird, zeigt, wie innerhalb so eines Projektes „Fremdzuschreibungen reflektier[t] und dekonstruier[t]“ (77) werden können.
Magdalena Puchberger, Katrin Prankl und Nina Szogs vom Volkskundemuseum Wien veranschaulichen am Projekt „SojaKomplex“ insbesondere die Seite der fachlichen wie institutionellen Verantwortung im Umgang mit und gegenüber diversen Öffentlichkeiten – vorrangig als Orten des Austauschs (84), in Anlehnung an Mike Murawski als spaces „coming together“ (85) – hier in Form von Workshops, Sammelaufrufen und Kollaborationen mit außeruniversitären Netzwerken.
Provenienzforschung und Restitution von NS-Raubgut in österreichischen Museen stellen die Grundlage der Überlegungen von Andrea Berger über Verpflichtungen zur Sichtbarmachung und Kennzeichnung kritischer Bestände, zum Umgang mit problematischen Dingen gegenüber einer Öffentlichkeit, dar. Texttafel, Audioguides, leere Packungen und Abbildungen präsentieren das, was nicht sichtbar ist – auch wenn die Objekte in den untersuchten Dauerausstellungen nur teilweise erkennbar werden (105).
Die Geschichte hinter der Gründung einer Abteilung für Kulturvermittlung am Volkskundemuseum Wien zeichnen Claudia Peschel-Wacha und Katharina Richter-Kovarik nach und weisen damit implizit auf typische Akteurinnen und Akteure, Milieus und Medien der Vermittlung, des Sammelns von Wissen und des Öffentlichmachens über historische Stationen hinaus hin.
Auf diese „klassischen“ Beiträge folgen im Band die zusammengetragenen Statements der Round Tables (meist vier). Barbara Frischling (mit der Zeitschrift kuckuck. Notizen zur Alltagskultur), Nina Aichberger (Netzwerk Kontexte, das das Fach bekannter macht) und Sarah Bergbauer (Perspektive von Masterstudierenden, die auf das Publikmachen gerne besser vorbereitet würden) diskutierten im ersten Round Table mit Moderatorin Astrid Pohl über ihre eigenen Erfahrungen des Öffentlichmachens in ihrer „arbeitsbiografische[n] Einbettung“ (129) als Orientierung für Studierende sowie zur Planung von Curricula.
Anna Weichselbraun, Sabine Imeri, Kerstin Klenke und Marcel LaFlamme widmen sich in einem englischsprachigen Round Table den Möglichkeiten, ethnografische Daten einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Kerstin Klenke erinnert als Leiterin des Phonogrammarchivs an Öffentlichkeiten im Plural, die beim offenen Zugriff auf Daten (auch rechtlich und ethisch) bedacht werden müssten. Sabine Imeri berichtet von ihren Erfahrungen, unterschiedliche Typen von Daten mit Kooperationspartnerinnen und -partnern zu teilen. Und Marcel LaFlamme berichtet von den Herausforderungen, Daten, die man nicht selbst erhoben hat, wiederzuverwenden für unterschiedliche Zwecke.
Das Verhältnis von Universität und außeruniversitärer Praxis reflektiert ein Round Table um Alexandra Schwell, Amalia Barboza, Franziska Becker und Klaus Schönberger, der auslotet, wie eine „angewandte“ (145) Kulturanalyse denn aussehen kann, wie diese ins Studium eingebunden werden und aus der Uni wieder herausgetragen werden kann. Alexandra Schwell schlägt vor, nach der Beschaffenheit der Differenz zwischen Uni und Nicht-Uni zu fragen, fachliche Kompetenzen des Angewandten auszuloten, zu überlegen, wie das Vielnamenfach zur These der Verflachungsspirale stehe, die mit der Wissenspopularisierung beginne, und zu reflektieren, wie politisch Wissenschaft sein solle.
Und ein letzter Round Table fokussiert Museen – das Volkskundemuseum in Graz, vorgestellt von Birgit Johler als ein Ort der Öffentlichkeit; das Volkskundemuseum Wien, repräsentiert von Matthias Beitl unter der Rechnung Sammeln = Kommunizieren; und der Oberösterreichischen Landes-Kultur GmbH, vorgestellt von Katrin Ecker und Thekla Weissengruber, die über Möglichkeiten eines dezentralen, mobilen Museums reflektieren. So stellt sich der Tagungsband als Zusammenschluss thematisch kaum zu bündelnder Beiträge und Diskurseingriffe dar, die sich also nicht zum Überblick eignen, einzeln jedoch eine gewinnbringende Lektüre sind.