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Bo Lönnqvist

Stimmen von Banater Schwaben. Narratologische Studien zur deutschen Minderheit im rumänischen Banat in den 1990er Jahren

(Commentationes scientiarum socialum 82), Helsinki 2023, The Finnish Society of Sciences and Letters, 356 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-951-653-502-2


Rezensiert von Harald Heppner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025

Es mag ungewöhnlich sein, wenn sich ein finnischer Forscher volkskundlicher Fragestellungen zu Ostmitteleuropa annimmt, da dieser Schauplatz seinem Herkunftsland nicht vor der Tür liegt. In den 1990er Jahren, das heißt nach der „Wende“ in Osteuropa, gab es jedoch den Anreiz, einer ländlichen Bevölkerung nachzugehen, deren Vorfahren einst aus Deutschland in den Karpatenraum ausgewandert waren und deren Reste im Untersuchungsgebiet gerade noch lebten. Wenn die vorliegende Studie rund 30 Jahre nach der damaligen Feldforschung erscheint, gibt sie zwangsläufig eine historisch gewordene Situation wieder, denn zum einen ist der Anteil der Rumäniendeutschen in den letzten 40 Jahren noch weiter zurückgegangen, und kaum jemand, der damals Zeitzeugin und Zeitzeuge war, ist heute noch am Leben. Damit kommt der damaligen Erhebung eine umso größere Bedeutung zu, da man in der Gegenwart für analoge Studien nicht mehr dieselben personellen Voraussetzungen vorfände.

Die zentrale Aufmerksamkeit von Bo Lönnqvist gehört den Erzählungen der alten Leute, das heißt den individuellen Rückblicken auf abwechslungsreiche Lebensläufe, die zwischen den Auswirkungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges, den Jahrzehnten des Sozialismus und dessen Zusammenbruch im Jahr 1989 eingepasst war. Darüber hinaus handelte es sich um Menschen vom Land, also um Personen mit vorwiegend ruraler Biografie. Die Vielfalt der Wahrnehmungen, die Lönnqvist mit seinem Team in jenen Jahren machte, spiegelt sich auch in der vielgliedrigen Kapitelstruktur wider.

Auf das erste Kapitel, das die Leserschaft zum Schauplatz und zur Fragestellung hinführt, folgt ein zweites, das sich auf „Schlüsselinformanten in Lippa“ (rumänisch Lipova) bezieht: acht Fallbeispiele vermitteln individuelle Zugänge zur eigenen Vergangenheit. Kapitel 3 fokussiert auf die Funktion der Vergangenheit im Bewusstsein der Befragten, um plausibel zu machen, dass diese ihren inneren Bezugspunkt nicht mehr in der damaligen Gegenwart fanden. Kapitel 4 widmet sich den „letzten Mohikanern“, das heißt dem Umstand, dass die Auskunftspersonen sich als die Hinterbliebenen einer einst weitaus zahlreicheren ethnischen Gemeinschaft begriffen haben. Dabei ist anzumerken, dass die ländliche Bevölkerung generell – nicht nur die Deutschen – in der Zeit forcierter Industrialisierung sozialistischer Prägung mental „durchzutauchen“ versuchten, weil die Veränderungen ab den 1950er Jahren nicht von ihnen ausgingen und ihnen auch nur in eingeschränktem Maß nutzten. Kapitel 5 enthält Ausführungen zu zwei „echt deutschen“ Dörfern (Guttenbrunn und Schöndorf), woraus ersichtlich wird, dass gemäß der Einschätzung der Auskunftspersonen nicht alle Dörfer im Banat gleichartig gewesen seien (hier ist zu unterscheiden zwischen Dörfern, die schon bestanden, ehe die Deutschen zuzogen, Dörfern, die Deutsche aufbauten und unter sich blieben, und Dörfern, in die zu unterschiedlichen Zeiten Nichtdeutsche zuzogen beziehungsweise eingesiedelt wurden). Kapitel 6 greift die Perspektiven von vier „Informanten“ auf, bei denen es um das Verschwinden der letzten Deutschen geht, wodurch auch das kollektive Gedächtnis im ländlichen Raum einem radikalen Wandel ausgesetzt wird. Im abschließenden Abschnitt wird das Gesamtthema zusammengefasst und mit der zusätzlichen Perspektive versehen, dass die nach Deutschland übersiedelte alte Generation sich dort nicht mehr zurechtfindet.

Der Text ist mit vielen und auch umfangreichen Zitaten angereichert, die die Authentizität des Erzählten unterstreichen; dadurch entpuppt sich diese Studie als Mix aus Blickwinkeln von Personen („Quellen“) und aus darüber angestellten Reflexionen („Interpretationen“). Da die beiden Ebenen in der Darstellung nicht immer scharf getrennt bleiben, ist der rote Faden für die Leserschaft nicht immer einfach zu behalten. Der Umstand, dass das Literaturverzeichnis auch Titel auflistet, die mit dem vorliegenden Sujet in keinem thematischen Zusammenhang stehen, stimmen den Rezensenten nachdenklich.

Dank des Quellenanteils hat die vorliegende Untersuchung für die volkskundliche Forschung unzweifelhaft keinen geringen Wert und kann mit analogen Analysen zu ähnlichen Schauplätzen verknüpft werden. Aus historiografischer Perspektive fehlt es jedoch am „Framing“, das heißt an der Einbeziehung von Faktoren, die aus dem stofflichen Umfeld stammen und die Narrative beeinflusst haben müssen. Gerade weil die Narrative den Trend zu Stehbildern vermitteln, wäre es nützlich gewesen, den zahllosen Impulsen aus der Außenwelt (aus der Sicht des Dorfes) Aufmerksamkeit zu schenken, die die Neigung, die eigene Zeit stillstehen zu lassen, miterklären dürften. Eine zweite Frage zielt darauf ab, inwieweit sich die Erinnerungsmuster der Deutschen von jenen der Magyaren oder Serben unterscheiden, denn mit der Grenzziehung von 1920 hatten auch die Magyaren der Vojvodina im Königreich Jugoslawien und ein gewisser Anteil der serbischen Bevölkerung im Königreich Rumänien und nicht mehr im gemeinsam erlebten Ungarn zu leben, wodurch auch für sie die bis dahin vertraute „Welt“ untergegangen sein dürfte.