Aktuelle Rezensionen
Desai Gehi Reema
Der Wegbereiter. Wie Rudolf von Leyden Mumbais Kunstszene prägte
Heidelberg 2025, Draupadi, 185 Seiten mit Abblidungen, ISBN 978-3-949937-03-3
Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025
Reema Desai Gehi, Chefredakteurin von Indiens ältester Kunstzeitschrift (ART India), hat eine biografische Abhandlung vorgelegt, welche das Leben und Wirken von Rudolf von Leyden (1908–1983) zum Thema hat, dies unter besonderer Berücksichtigung seines kulturpraktischen und kulturpolitischen Wirkens zwischen den Jahren 1933 und 1967 in der damals noch Bombay genannten Großstadt Mumbai an der Westküste Indiens.
Im Vorspann der Autorin heißt es dazu: „Dieses Buch ist keine kritische Würdigung seiner Arbeit, sondern eine ehrliche Annäherung an Rudis Leben durch das Prisma der Kunst, einer lebenslangen Leidenschaft, die nicht nur seinen Lebensweg bestimmte, sondern auch das Leben der Menschen, denen er begegnete, nachhaltig beeinflusste.“ Und die dazugehörige Fragestellung lautet: „Wie kommt es, dass ein Deutscher mit jüdischen Wurzeln, der vor dem Zweiten Weltkrieg nach Indien kommt, weit entfernt von der Heimat zur zentralen Person, zum ‚Kingpin‘, einer Kunstbewegung wird?“ (28)
Der Band selbst ist so aufgebaut, dass die Autorin den plausiblen Versuch unternimmt, die zentrale Frage in sieben Kapiteln, begleitet von jeder Menge Abbildungen, kurz und präzise zu beantworten. Grob gesagt, gelang es dem oppositionellen Geologie-Doktoranden an der Universität Göttingen, von der Gestapo und anderen Organisationen in höchstem Maße wegen seines Status als sogenannter „Halbjude“ und als politischer Oppositioneller gefährdet, rechtzeitig einen Frachter zu besteigen, der ihn von Antwerpen nach Bombay, also außer Gefahr, bringen sollte. Hatte er schon vorher als „Hobbydesigner“ (39) bestimmte Aufträge übernommen, so gelang es ihm, zunächst vorübergehend, in der Werbeabteilung der „Times of India“ Arbeit zu finden, grob gesagt in einem breiten Spektrum von gestalterischen Aufgaben. Sein Interesse an Fragen der Kunst und speziell der bisherigen Trennung zwischen asiatischen und europäischen Tendenzen führte dazu, dass er sich gleichzeitig mehr und mehr der Kunstkritik in unterschiedlichen Tageszeitungen sowie der Entwicklung von richtiggehenden Kunstprojekten für unterschiedliche Auftraggeber zuwandte. Insgesamt war er fasziniert von der Lebendigkeit der einheimischen Kunstszene, vor allem der Avantgarde, wie sie sich etwa in den Aktivitäten der „Progressive Artists’ Group“ zeigte, deren Wirken er immer wieder befürwortete und tatkräftig unterstützte.
Rudolf von Leyden galt einerseits, über die Prozesse mit dem Ziel der Unabhängigkeit Indiens (1947) hinweg, als (europäischer) Verbündeter und Förderer bestimmter damals aktueller Kunstrichtungen sowie verschiedener philanthropischer Projekte, dies in Kooperation mit einer Vielzahl von einheimischen und zugereisten Persönlichkeiten; andererseits begann er mit eigenen Sammleraktivitäten (unter anderem Ganjifa/künstlerisch gestaltete Spielkarten). 1959 wurde er zum Leiter des „Advertising Council of India“ ernannt. 1967 nahm er Abschied von dem Unternehmen Voltas, einer Art Mischkonzern, dem er als in jeder Hinsicht kreativer Leiter der Öffentlichkeitsabteilung diente. Fortan ließ er sich in Wien nieder.
Fazit: Der Protagonist „war eigentlich für einen sechsmonatigen Aufenthalt nach Indien gekommen, blieb letztendlich aber fünfunddreißig Jahre“ (137–138). Es stellt sich somit die Frage, warum uns – als Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler – die angesprochene Thematik interessieren sollte. Nun, wir haben es bei Rudolf von Leyden mit einem Fluchtmigranten zu tun, der Mittel und Wege erkundet und diese findet, wo und wie und unter Zuhilfenahme welcher ihn unterstützender Menschen er die Phase des in seinem Herkunftsland herrschenden nationalsozialistischen Gewaltsystems er selbst überleben und, vor allem, wie er seiner neuen Gastgesellschaft nützlich sein kann. Die Leistung von Reema Desai Gehis Studie besteht vor allem darin, vorzuführen, wie eine zentrale Figur, nämlich ein vorübergehend aus Deutschland immigrierter einschlägiger Experte, unter den Bedingungen des Exils ihr privates und vor allem berufliches Leben, gleich ob im Bereich von Public Relations und Design oder Kunst und Kunstvermittlung, bewältigt. Im Grunde genommen wird hier das Thema der Migration an einem in höchstem Maße persönlichen Beispiel erläutert und problematisiert. Und man darf gespannt sein, ob das Erscheinen von „Der Wegbereiter“ dazu führt, dass weitere Studien in dieser disziplinären wie auch geographischen Ausrichtung entstehen.1
Anmerkung
1 Man muss sich dabei aber nicht gleich orientieren an dem in jeder Hinsicht gewaltigen Opus von John Russell Taylor: Fremde im Paradies. Emigranten in Hollywood 1933–1950. Berlin 1984.