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Aktuelle Rezensionen


Norbert Fischer/Simon Walter (Hg.)

Neue Schauplätze der Trauer

Düsseldorf 2025, Fachverlag des deutschen Bestattungsgewerbes, 162 Seiten, ISBN 978-3-936057-86-7


Rezensiert von Barbara Leisner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025

Seit den 1990er Jahren manifestiert sich öffentliche Trauer immer häufiger in spontanen Gedenkstätten außerhalb von Friedhöfen. Teilweise wachsen die Plätze zu riesigen Blumenmeeren mit Kerzen, handgeschriebenen Briefen und Kuscheltieren an, die irgendwann wieder verschwinden. Man erinnert sich an die weltweit durch Medien verbreitete Trauer um die britische Prinzessin Lady Diana oder auch an Schauplätze islamistischer Anschläge in Deutschland. Mit dem vorliegenden Buch nehmen die Autorinnen und Autoren solche neuen Orte der Trauer in den Blick, analysieren ihre Geschichte und zeigen ihre gesellschaftliche Bedeutung auf. Ihre Studien entstanden teilweise im Rahmen eines Projektes, in dem Studierende der Universität Hamburg am Institut für Empirische Kulturwissenschaft von 2023 bis 2024 unterschiedliche Orte und Phänomene im öffentlichen Raum untersuchten, die neue Wege des Trauerns, Erinnerns und Gedenkens spiegeln. Leitend verantwortlich für das Projekt war Norbert Fischer, Kulturwissenschaftler und Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zur Geschichte und zum Wandel der Bestattungskultur. Die Forschungen der Studierenden sowie Beiträge weiterer Mitwirkender sind 2025 in diesen Sammelband eingeflossen, der von der Stiftung Deutsche Bestattungskultur gefördert und begleitet wurde.

Eingeleitet wird der Band durch einen Rückblick auf öffentliche Gedenkorte früherer Zeiten (Nisha Kapeller). Klein- und Flurdenkmäler, also zum Beispiel Bildstöcke und Sühnesteine, erinnern besonders im süddeutschen Raum noch heute an Unglücksfälle oder Mordtaten in vergangenen Jahrhunderten und prägen so die Kulturlandschaft. Oft wird dort auch heute noch zum Gebet für die Toten aufgerufen und es werden Blumen niedergelegt oder Kerzen entzündet, also rituelle Trauerhandlungen ausgeführt.

Die darauffolgenden Beiträge stellen Schauplätze vor, die erst in neuerer Zeit entstanden und sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Das Konzept der Trauerhaltestelle (Thordis Ingwersen), die erstmals auf dem Ohlsdorfer Friedhof eingerichtet worden ist, geht von dem Bedürfnis nach einem speziellen neuartigen Ort des öffentlichen Gedenkens aus, in dem das fehlende Grab durch einen gemeinschaftlich begehbaren Trauerort ersetzt wird. Dieser zum Himmel hin offene, von Mauern abgegrenzte Raum bietet explizit die Möglichkeit, die Gefühle im Zusammenhang mit einem privaten Verlust in Form von Texten, Bildern oder Gegenständen anonym und für einen – wetterbedingt – begrenzten Zeitraum der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Das Thema des fehlenden Grabes wird im Beitrag von Norbert Fischer mit der Vorstellung maritimer Trauer- und Erinnerungsorte für Seebestattungen aufgenommen. Sie sind inzwischen sowohl auf Friedhöfen wie in der unmittelbaren Nähe der See entstanden. Der Beitrag von Elke Heinen widmet sich den „Himmelsbäumen“, einem Gedenkort für verstorbene Kinder auf der Insel Föhr, der zugleich einen Ort der Zusammenkunft und gemeinsamen Aktion für trauernde Eltern bildet.

Dass Gedenkorte äußerlich aber auch unsichtbar bleiben können, thematisiert Meike Knabe im Zusammenhang mit dem Nagelbombenanschlag von 2004 in der Kölner Keupstraße. Das schreckliche Geschehen, für das zeitweise die unschuldigen Betroffenen verdächtig wurden, hat auch zwanzig Jahre nach der Tat keinen öffentlichen Ausdruck in Form eines Erinnerungsmales gefunden, obwohl das Bedürfnis danach besteht und die Erinnerung von den Betroffenen dort immer wieder immateriell verankert wird. An Nora Stöbers Untersuchung des Erinnerungs- und Kunstprojektes „Stolpersteine“ in Hamburg wird dann deutlich, wie schwierig Trauern und Erinnern gerade dann ist, wenn Schuld und Verdrängung eine wichtige Rolle spielen. Nicht immer aber wird juristisch sicher festgestellt, wer an einem Mord oder Todschlag schuldig geworden ist und wer das Gedenken immer wieder von neuem sabotiert, wie Elke Heinen in „Fall Malte L.: Etappen eines schwierigen Gedenkens im öffentlichen Raum“ aufzeigt, bei dem alle Indizien auf eine rechtsextreme Gesinnungstat hindeuten.

Die Untersuchung von Wiebke Nissen widmet sich sehr ausführlich dem Unfalltod der 1969 verstorbenen Sängerin Alexandra und der Gruppe ihrer Fans, die sich noch Jahrzehnte danach um ein inzwischen steinernes Erinnerungsmal am Unfallort kümmert. Hier wird eine Berühmtheit Jahrzehnte nach ihrem Tod weiter verehrt und in vielfältiger Weise erinnert. Während das Gedenken an Menschen, die im Rampenlicht gestanden haben, allgemein verbreitet ist und auch im öffentlichen Raum über längere Zeiträume andauern kann, ist erst in jüngster Zeit zu beobachten, dass Helfende und „Nachbarn“ auch den Tod von ausgegrenzten Personenkreisen, wie zum Beispiel von Obdachlosen, im öffentlichen Bewusstsein zu verankern versuchen und dazu öffentliche Gedenkinstallationen und Rituale entwickeln; so zum Beispiel den Gedenkbaum des Stadtmagazins „Hinz & Kunzt“ auf dem Friedhof Hamburg-Öjendorf, an dem Namensplatten mit den Lebensdaten für verstorbene Verkäufer und Verkäuferinnen des Magazins angebracht sind (Ann-Sophie Hackmann).

Deutlich wird in allen Beiträgen, dass öffentliche Trauer heute viel mehr Menschen als in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu mobilisieren vermag und sozusagen wortwörtlich auf die Straße bringt. Den Herausgebern Norbert Fischer und Simon Walter ist zu danken, dass sie die Untersuchung dieser neuen Schauplätze der Trauer angeregt haben, so dass ihre Geschichte und die Hintergründe ihrer Entstehung greifbar werden. Interessant wäre es sicher, wenn diese Einzelfalluntersuchungen auch in den digitalen Raum hinein ausgedehnt würden. Wie vielfältig die Debatten um die Erinnerung vor Ort geführt werden und wie divers die Bedürfnisse und Erwartungen dahinter sein können, wird aus den Beiträgen auf jeden Fall deutlich.