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Thomas M. Dann
Das ländliche Möbel in Lippe. Wohnkultur in Nordwestdeutschland vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
Bielefeld 2023, Verlag für Regionalgeschichte UG, 594 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7395-1504-5
Rezensiert von Gerdi Maierbacher-Legl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025
Der Autor legt ein – im doppelten Sinne des Wortes – gewichtiges Werk der Grundlagenforschung zum ländlichen Möbel vor, das sowohl zum Durchlesen als auch zum gezielten Nachschlagen zu Vergleichszwecken geeignet ist. Der Arzt und Kunsthistoriker Thomas M. Dann, der selbst mitten in seinem Untersuchungsgebiet, dem Kreis Lippe in Ostwestfalen lebt, hat sich schon vielfach wissenschaftlich mit Möbelforschung und Raumkunst auseinandergesetzt. Seine Veröffentlichungen handeln von Schlossausstattungen und Hofschreinern bis hin zu den Möbelentwürfen des hannoverschen Hofarchitekten G. L. F. Laves. In der vorliegenden Studie wendet er sich den ländlichen Möbel-Ausstattungen eines geschlossenen Gebiets zu, mit dem Vorsatz, über eine möglichst breite Erfassung des Überlieferungsbestands in Museums- und Privatbesitz Merkmale herauszuarbeiten, welche die historische Wohnkultur der verschiedenen sozialen Schichten des bäuerlich geprägten Landstrichs charakterisieren. Über 300 Privathaushalte öffneten ihm ihre Türen. Die Auswertung von mehr als 400 Inventaren aus dem 18. und 19. Jahrhundert setzen die Relikte quantitativ in den Zusammenhang eines definierten Hausstands und ergänzen somit das Bild zu dem, das man Wohnen nennt.
Das Gebiet des heutigen Landkreises Lippe umfasst rund 1.400 Quadratkilometer und wird hier erstmals für eine flächendeckende Sachgutdokumentation in den Fokus genommen. Die Möbelbestände des Lippischen Landesmuseums und des LWL-Freilichtmuseums – Westfälisches Landesmuseum für Volkskunde, ebenfalls in Detmold, waren der Ausgangspunkt für das Interesse des Autors, über die Erfassung und Einordnung der bislang unbekannten historischen Möbel in Privatbesitz erweiterte wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. „Ein schier grenzenloser Optimismus im Hinblick auf mögliche Erfolge“ (13), war dafür laut Feststellung des Autors erforderlich. Zwischen 2014 und 2017 wurden sowohl die Möbelaufnahme als auch die Archivarbeit im Rahmen des Dokumentationsprojekts „Ländliches Wohnen in Lippe“ von Thomas M. Dann auf eigene Initiative – und übrigens auch auf eigene Kosten – durchgeführt. Anregung dazu kam insbesondere vom ehemaligen Leiter des LWL-Freilichtmuseums Detmold, Stefan Baumeier, der die Ergebnisse der Untersuchung allerdings nicht mehr erlebte. An den vielen aufgeführten Namen in der Danksagung ist abzulesen, wie groß der Anklang und die Unterstützung im Rahmen einer intensiv vernetzten Regionalforschung waren, die Thomas M. Dann im Laufe der Projektdurchführung zuteilwurden.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Kapitel 1 bis 7 beleuchten den Kontext und die Rahmenbedingungen im Spiegel aussagefähiger archivalischer Quellen, innerhalb welcher die historische Wohnkultur Lippes zu verstehen ist. Kapitel 8 bis 10 stellen den aufgefundenen Überlieferungsbestand der Realien in typologischer Gliederung vor. Die Bestandserfassung ist nicht im üblichen Sinne einzeln katalogartig wiedergegeben, sondern geht in ihrem Ordnungssystem von Gruppierungen aus. Diese Dokumentation stellt den Hauptteil der Untersuchung dar.
In der Einleitung führt der Autor die Leserinnen und Leser in das Untersuchungsgebiet, das ehemalige Fürstentum Lippe, seine geografische und kulturräumliche Gliederung ein. Der Abriss zur mehr als 800-jährigen dynastischen und politischen Geschichte kann als „Überbau“ für die Orientierung in den Verhältnissen einer kleinräumigen, von Kontinuität wie auch von Rückständigkeit geprägten Herrschaft dienen, die bis ins 20. Jahrhundert selbständig war. Heute entspricht dieses Gebiet dem Kreis Lippe im Regierungsbezirk Detmold (Ostwestfalen-Lippe), einem Teil des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
Da die Untersuchung in einer agrarisch geprägten Region stattfindet, wird die zentrale Bedeutung der Landwirtschaft für Lippe herausgestellt. Ebenso finden sich die Grundzüge der Sozialgeschichte in diesem Zusammenhang thematisiert. Die Bodengüte und davon abhängig die Ernteerträge sind ausschlaggebend für die Einkommenssituation der Bauern. In fünf Klassen unterscheiden sich die lippischen Ortschaften nach den Parametern der sogenannten Grundsteuerreinerträge (24). Zusätzlich ist natürlich auch die Größe der bewirtschafteten Ackerflächen in Betracht zu ziehen. Klein- und Kleinstbetriebe herrschen vor, demgegenüber stehen die Großgüter des Adels, die zwei Drittel des Ackerbodens, insbesondere der oberen Güteklassen umfassen. Das meierstättische Anerbenrecht verhinderte die Zersplitterung der Höfe, die ihrerseits einer Klassifizierung nach Größe unterlagen. Sie wurden von der Obrigkeit in elf Gruppen eingeteilt, abhängig von Hofgröße und jährlichem Reinertrag (27). Dieser rechtliche Hintergrund wird noch weiter ausgebreitet und differenziert. Er betrifft unter anderem auch die Sozialstruktur der Bevölkerung und ist für das grund- und landesherrliche Abgaben- und Dienste-System oder in Bezug auf Heiratsverträge und Hofübergabe von hohem Interesse (s. Kap. 4 Hochzeit und Brautschatzmöbel, 87–108).
Auch die Darstellung von „Forschungsstand und Aufgaben“ ist in die Einleitung integriert. Der Fokus der Literaturübersicht zum ländlichen Möbel bezieht sich naheliegenderweise auf den nordwestdeutschen Raum. Der Autor benennt die Projekte systematischer Sachguterfassung im musealen und privaten Bereich, da er sich mit seinem Vorhaben in diesem Forschungsansatz wiederfindet. Er würdigt das Verdienst des Freilichtmuseums Cloppenburg, das Weser-Ems-Gebiet durch zahlreiche flächendeckende Inventarisationskampagnen „zu der Region Mitteleuropas mit der umfangreichsten Aufnahme von privatem ländlichem Kulturbesitz“ gemacht zu haben (32). Für den Untersuchungsraum Lippe liegen nur geringe Vorarbeiten und keinerlei Publikationen zur Möbel- und Wohnkultur vor, konstatiert Dann. Daher ist die vorliegende Untersuchung zuallererst „ein Beitrag zur wissenschaftlichen alltags- und möbelkundlichen Grundlagenarbeit“ (33). Bemerkenswert ist das Ansinnen, durch das Entgegenbringen von Aufmerksamkeit und wissenschaftlichem Interesse, durch den Austausch von Informationen im Gespräch mit den privaten Besitzern die Wertschätzung für die Möbel als immateriellem Wert zu wecken oder zu festigen und somit für deren Erhalt vor Ort zu sorgen. Private Sammlungen und natürlich auch die Museumsbestände in der Region wurden mit einbezogen und das dort jeweils akkumulierte Wissen verarbeitet. Die bürgerlichen Möbel in den wenigen Städten wie Detmold, Lemgo, Barntrup und Salzuflen klammerte der Autor bewusst aus, da er sich auf das ländliche Wohnen konzentrieren wollte. Da sich die adeligen Wohnsitze hauptsächlich auf dem Lande befanden (Großgrundbesitzer), wurde deren Mobiliar hingegen einbezogen. Es dürfen Bedenken angemerkt werden, ob sich dadurch nicht eine gewisse Verzerrung des Gesamtbildes ergibt, ob Stadt und Land in Lippe so scharf getrennt werden können. Alle sozialen Schichten und Gruppen auf dem Lande sollten mit ihren „Wohnwelten“ repräsentiert werden (35). Der angetroffene Überlieferungsbestand bestimmt den zeitlichen Rahmen, der quantitativ im 18. und 19. Jahrhundert liegt. Die Grenze zur Gegenwart zu ziehen, fiel nicht leicht. Die Absicht, das dokumentierte Material sogenannten Möbellandschaften zuzuweisen, erscheint aus heutiger Sicht überholt. Es sind vielmehr Werkstattkreise, denen die kleinregionale Lokalisierung auf der Spur sein sollte. Die Gruppenbildung von Möbeln mit gemeinsamen Merkmalen, die der Autor in Aussicht nimmt, geht in diese Richtung. Die Abbildungen, die der Dokumentation beigefügt sind, sind in diesem Sinne exemplarischer Art, wie auch die „Untersuchung als Ganzes eher einen überzeugenden querschnitt- beziehungsweise ausschnitthaften Charakter“ hat (36), angesichts des vermuteten einst Vorhandenen. Noch vor 50 Jahren hätte sich der Bestand quantitativ gänzlich anders dargestellt.
Thomas M. Dann wählte als Methode die kombinierte Quellenanalyse, die Helmut Ottenjann in den 1970er und 1980er Jahren so erfolgreich propagierte, um der reinen Sachgutdokumentation ergänzende Medien zur Seite zu stellen. Die Quellengruppe der historischen Inventare ist besonders geeignet, zusätzlich differenzierte und übergeordnete Informationen zum überlieferten Möbelbestand beizusteuern. Im Landesarchiv NRW in Detmold bot sich dafür ein reiches Inventarkonvolut zur Auswertung an.
Damit ist das Stichwort der Quellen angesprochen, die der Autor für seine Studie herangezogen und zueinander in Beziehung gebracht hat: die Realien des physisch existierenden Möbels einerseits und die Schriftquelle der Inventare andererseits (37–48). Er bringt beide zunächst für die Leser in Übersicht und referiert detailliert über seinen Umgang damit und seine Vorgehensweise bei der Erfassung. Die beeindruckende Zahl von 1.313 inventarisierten Möbelstücken aus Privat- und Museumsbesitz gliedert er in 20 Typen, die nach Funktion oder Konstruktion benannt sind. Die Verwahrmöbel aller Art bilden die größte Gruppe des Erhaltenen. Die Anonymisierung der Besitzer und des Standorts wird aus Sicherheitsgründen mit großer Sorgfalt vorgenommen. Die Inventare als anlassgebunden vorgenommene amtliche Auflistung der beweglichen und unbeweglichen Habe eines Menschen, seines gesamten Eigentums und Vermögens, bergen anerkanntermaßen einen hohen Aussagewert für die Wohnkultur und die Haushaltsführung, gerade wenn sie in großen Mengen ausgewertet werden. Die herangezogenen 420 Inventare stammen hauptsächlich aus dem 18. und 19. Jahrhundert und betreffen alle sozialen Gruppen auf dem Lande, vom „Einlieger“ (Mieter) bis zum „Vollmeier“ (Großbauer). Das Kapitel 5 widmet sich der Auswertung dieser Quelle und zeichnet ein Bild sowohl der Wohnkultur der „Honoratioren“ – Lehrer, Geistliche, Beamte und Ärzte auf dem Lande, als auch der bäuerlichen Bevölkerung – Groß- und Kleinbauern sowie Gesinde (109–128).
Doch zunächst erfolgt mit den Kapiteln 2 und 3 eine Vorstellung des lippischen Bauernhauses und seiner räumlichen Nutzung. Hier spielen sich Wohnen und Wirtschaften in allen Ausprägungen ab. Das niederdeutsche Hallenhaus mit Diele, Flett, Stube und Kammer bildet die Kulisse dafür. Die nicht sehr große Inventargruppe, die nach Räumen gegliedert ist, gibt Einblick in die Ausstattung der einzelnen Räume nach sozialer Zugehörigkeit der Hausbesitzer. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Stube, dem Raum, der rauchfrei beheizbar ist und daher den höchsten Wohnwert, gegebenenfalls auch Prestigewert, besitzt. Die gebotenen Beispiele sind von großer Anschaulichkeit hinsichtlich der sozialen Differenzierung lippischer Wohnkultur, überschneiden sich aber erkennbar mit dem Kapitel 5. Der Autor streut Bildbelege aus der regionalen Genremalerei, Grafik und historischen Fotografie ein. Er beschreibt sie minutiös hinsichtlich Stimmung und dargestelltem Sachgut. Im Sinne einer Quellenkritik vermisst man den Hinweis, dass die Absicht der Künstler fern einer objektiven, wissenschaftlichen Dokumentation der Wohnsituation lag, vielmehr ist den Werken eine subjektiv geleitete malerisch-romantische Intention zu unterstellen.
Als gewisser Sprung in der inhaltlichen Abfolge der Kapitel ist der nun folgende Einschub über Hochzeit und Brautschatzmöbel aufzufassen (87–108). Angesichts der Tatsache, dass der Großteil der dokumentierten Möbel anlässlich einer Eheschließung angeschafft wurde, hat die Beleuchtung dieses Hintergrunds im Gesamtzusammenhang allerdings große Berechtigung.
Die lebensnahe Beschreibung der Hochzeitsanbahnung und des Ablaufs der Feierlichkeiten nach zeitgenössischen Quellen zeigt die Bedeutung des Ereignisses im gesellschaftlichen Leben der Landbevölkerung auf. Die standesgemäße Verheiratung war oberstes Ziel der Eltern der heiratsfähigen Kinder. Sie handelten im Beisein einer Amtsperson schon bei der Verlobung den Vertrag über die Mitgift oder Aussteuer der einheiratenden Braut oder des Bräutigams aus. Im Lipperland war die ungeteilte Weitergabe des Hofbesitzes an (meist) den ältesten Nachkommen seit dem Mittelalter verankert. Der Anerbe – oder seltener die Anerbin – waren entsprechend die begehrtesten Heiratspartner. Aber auch den nachgeborenen Kindern der Hofbesitzer stand eine Mitgift zu, vor dem Hintergrund, sie möglichst vorteilhaft zu verheiraten. Dieser Brautschatz (es gibt keinen analogen Begriff für die Mitgift des Bräutigams), der Hausrat wie Arbeitsgerät, Möbel und Textilien ebenso wie Lebensmittel, Vieh und Bargeld beinhalten konnte, wurde, auf einem Leiterwagen drapiert, unter Anteilnahme der Öffentlichkeit zum zukünftigen Heim der Brautleute gefahren. Diese Statusdemonstration sollte für alle sichtbar und überprüfbar sein. Der Obrigkeit lag daran, dass die Mitgift für die Reihe der zu bedenkenden Kinder nicht zu einer wirtschaftlichen Schwächung der Höfe führte, was sich in der Steuerbilanz bemerkbar machen würde. So existierten sogenannte Brautschatz-Verordnungen wie die Lippische Polizeiordnung von 1620 (96) und eine Regierungsanfrage an alle lippischen Ämter von 1772, die über die jeweiligen gebräuchlichen Brautwagenausstattungen informieren sollte. Damit stand Thomas M. Dann eine einzigartige Quelle zur Verfügung, die Brautschätze hinsichtlich Art und Anzahl der Möbel, von Amt zu Amt nach Hofklassen vorzustellen.
Die schriftliche Überlieferung der Eheverträge, von denen der Autor insgesamt 150 Exemplare im Amt Detmold auswerten konnte, liefert eine Vielzahl von Informationen nicht nur zu Mitgift und Aussteuer, sondern auch Regelungen zur Altersversorgung der Eltern bei der Hofübergabe, die ausschließlich durch das Mittel der Heirat der Erben erfolgen konnte. Auch zum Heiratsverhalten, die Entfernungen der Herkunftsorte der Brautleute betreffend, und die Wege, die die Möbel zwischen „Bestellerort“, „Nutzerort“ und „Fundort“ zurücklegten waren Gegenstand der ergänzenden Auswertungen durch den Autor.
Nach einem besonderen Exkurs zu ländlichen Nachlassversteigerungen (130–137) „als preiswerte Einkaufsquelle für finanziell schlechter gestellte Kreise“ (135) wendet sich der Autor schließlich auch noch der Herstellerseite der Möbel zu, der lippischen Landtischlerei. Die „Rahmenbedingungen ländlicher Möbelproduktion“ (139–156) werden vor allem durch das städtische Zunftwesen festgelegt, das als berufsständische Institution darauf bedacht ist, die Konkurrenz zwischen den Tischlern in der Stadt und denjenigen auf dem Land tunlichst zugunsten der ersteren zu regeln. Das betrifft die Festlegungen der Ausbildung, besonders der Meisterwerdung, und der Ansässigmachung. Die schriftlichen Quellen, aus denen der Autor schöpft, entstanden in der Mehrzahl im 19. Jahrhundert. Das Meisterstück und seine Verkäuflichkeit waren 1808 Gegenstand einer Umfrage der fürstlichen Regierung bei den Magistraten. Durch die Antworten wird man gut informiert über die verschiedenen Möbel- oder Fenstertypen und Aufwandsklassen, die in Lippe als Probestück kursierten und die Qualitätssicherung gewährleisten sollten. Die wirtschaftliche Depression um 1850 im Fürstentum wie auch in weiten Teilen des gesamten Deutschen Reichs betraf auch das lippische Tischlerhandwerk und führte zu Maßnahmen der Gewerbeförderung – Gewerbeschule, Gewerbeverein, Verkaufsmagazine – bis hin zur allgemeinen Einführung der Gewerbefreiheit 1869. Das Landhandwerk unterlag der Kontrolle durch die städtischen Zünfte, die sich auch in der landesherrlichen Verordnung von 1769 ausdrückte. Demnach sollten die Landhandwerker zur Sicherung einer standardisierten Ausbildung ebenfalls den städtischen Zünften beitreten, was natürlich mit Kosten verbunden war. Ein aufschlussreiches Zitat ist einer der zahlreichen ergänzenden Verordnungen zu entnehmen, die explizit an die Landtischler gerichtet war: „Die zunftmäßige Qualifikation brauchte demnach bei den Landtischlern nur derjenige vorzulegen, der ‚furnierte, gebohnte, mit einem Lack oder Firniß überzogene‘ Möbelstücke herstellen wollte“ (144). Die einfachen Ausführungen aus Nadel- oder Eichenholz ohne Oberflächenveredlung waren den Landtischlern erlaubt. Sie waren die Generalisten, die „Allrounder“ auf dem Gebiet der Holzbearbeitung, während das städtische Handwerk die Spezialisten vorhielt. Bemerkenswert auch die Zahlenverhältnisse der Betriebe in Stadt und Land: 1790 waren schon mehr als die Hälfte aller Handwerker auf dem Land ansässig, 1861 waren es zwei Drittel (145). Charakteristisch für das Land ist die Verbindung von Handwerk und Landwirtschaft, die in der Regel eine Notwendigkeit war. Die Abgrenzung der Tätigkeiten von Tischlern, Zimmerern und Rademachern (Wagnern) ist alles andere als scharf. Thomas M. Dann beklagt, dass die Quellen zum Tätigkeitsspektrum, dem Kundenkreis und dem Aktionsradius der Landtischler, wie vor allem die Anschreibebücher der Betriebe, nur in sehr geringem Umfang erhalten sind. Daher beziehen sich seine Ausführungen zu diesen Gesichtspunkten auf die wenigen, dennoch sehr erhellenden Beispiele, die er ausmachen konnte, sowie auf allgemeine Rückschlüsse aus der Aktenlage. Die Auswertung der Volkszählung von 1788 liefert konkretes Zahlenmaterial zum Landhandwerk allgemein und zum Holzhandwerk im Speziellen (s. Anhang). Die soziale Zugehörigkeit seiner Vertreter, die räumliche Verteilung und Konzentration werden in aussagefähiger Statistik und in einer Übersichtskarte dargestellt (Abb. 81).
Die Vielfalt der regional in den Archiven und in der Literatur recherchierten kulturhistorischen Rahmenthemen hat die Leser auf den ersten 150 Seiten eingestimmt und umfassend vorbereitet für den zweiten Teil des Buches, die Feldstudie der Dokumentation des überlieferten Mobiliars (159–424). Die Systematik folgt dem klassischen Schema und beginnt mit den Verwahrmöbeln, die quantitativ den Bestand dominieren (s. Tortendiagramm Abb. 11). Die Typologie wird fortgesetzt mit den Kategorien der Schreibmöbel, der Sitzmöbel, der Ablagemöbel wie Tische und Gestelle und schließlich der Liegemöbel vielfältiger Art. Auch dem Luxusartikel Spiegel bietet der Autor abschließend Raum. Das erhobene Mobiliar wird, in Gruppen nach gemeinsamen Merkmalen gegliedert, im Fließtext vorgestellt. Die zahlreichen guten Abbildungen veranschaulichen die kenntnisreichen und detailgenauen Beschreibungen. Hervorzuheben ist Thomas M. Danns ganzheitlicher Ansatz, der auch die Konstruktion der Möbel in die technisch anspruchsvolle Analyse und Gruppenbildung einbezieht. Die konsequent beigefügten Verbreitungskarten mit den Fundorten der Möbel zielen auf die Herausarbeitung von kleinräumigen Produktionszentren. Immer wieder zieht der Autor die Inventare heran und zitiert interessante Fallbeispiele. Nach dieser Vorgehensweise wird zunächst auf die lippischen Truhentypen eingegangen, die, wie allgemein üblich, nach Konstruktionsmerkmalen benannt sind: Stollentruhen, Standseitentruhen, Kastentruhen. Der Autor arbeitet die Entwicklungs- und Verbreitungsgeschichte der lippischen Truhen im zeitlichen Nach- und Nebeneinander heraus. Im Großen und Ganzen hat sich das zeitliche Erscheinen in anderen Regionen genauso oder so ähnlich abgespielt. Von den knapp mehr als 300 dokumentierten Truhen sind 210 Belege den Koffertruhen, einer Sonderform der norddeutschen Kastentruhen, zuzuordnen. Diese gehören in weiten Teilen des 18. und 19. Jahrhunderts zu den modischen Prestigemöbeln auf dem lippischen Brautwagen. Ihnen widmet sich der Autor mit besonderer Intensität. Er differenziert deskriptiv die reichen ornamentalen Beschlagformen der Koffer in elf Motivgruppen und schafft damit eine Vorstellung von Werkstattkreisen sowohl der Tischler als auch der beteiligten Schmiede.
Auf den nächsten 100 Seiten folgt die Vorstellung der Schrankmöbel, die nach Kriterien der Funktion wie auch der Aufstellung benannt sind: Kleider- und Wäscheschränke mit über 380 Belegen, Wirtschaftsschränke (65 Belege) und Stollenschränke (38 Belege) stellen die umfangreichsten Kontingente. Besonders eingehend beschäftigt sich der Autor mit dem zweitürigen lippischen Kleiderschrank, ausgehend vom norddeutschen „Schapp“ oder allgemein dem hanseatischen Dielenschrank (223–284). Hier holt er weit aus und stellt verzweigte Bezüge, auch kunst- und ornamentgeschichtlicher Art, her. Wiederholungen und eine gewisse Unübersichtlichkeit der Gruppen erschweren die Nachvollziehbarkeit. Manches, zum Beispiel die differenzierten Gliederungen der Türfelder, wäre grafisch vielleicht klarer zu zeigen und zu vergleichen gewesen als dies der wenig strukturierte Textfluss zu leisten imstande ist. Im Abschnitt „Weitere Schränke“ (291–321) wird eine bunte Vielfalt an Wirtschafts- und Repräsentationsmöbeln verhandelt. Vom Vertiko bis zum Waffenschrank ist alles dabei, auch die Kommode. Der „Stollenschrank“ (308) entpuppt sich als Kabinettschrank mit Untergestell, der konstruktiv nichts mit der Stollen- oder Pfostenbauweise zu tun hat.
Unter „Weitere Verwahrmöbel“ (321–340) subsumiert Thomas M. Dann neben Handtuchhäusern und Löffelkästen ausschließlich Uhren, das heißt Zimmeruhren mit und ohne Gehäuse. Die Lackschilduhr, ein Exportartikel aus dem Schwarzwald, findet hier ebenfalls Darstellung. Die Variationen der Schreibmöbel beschließen das große Kapitel der Verwahrmöbel (159–340).
Die akribische Dokumentation des aufgefundenen Möbelbestands setzt sich mit vielen Konnotationen im Sinne der oben genannten Typologie mit den Sitzmöbeln, den Ablagemöbeln und den Liegemöbeln noch über gut 70 Seiten fort (352–424). Auffällig ist die immense Vielfalt der Varianten zu den einzelnen Möbeltypen, die sich in der kleinen Region erhalten hat. Dies umso mehr, als der aufgefundene (Rest-)Bestand nach Einschätzung des Autors nicht mehr als zehn bis fünfzehn Prozent des ursprünglich Vorhandenen ausmachen dürfte.
Obwohl die Dekoration der Möbelfronten jeweils bei den einzelnen Typen beschrieben und zur Gruppenbildung herangezogen wurde, ist noch einmal ein Kapitel dafür vorgesehen (427–453). Inschriften und Signaturen auf den Möbeln sind dabei als plastischer Schmuck deklariert, zur farbigen Gestaltung werden auch Intarsien und Marketerien gezählt – eine Sichtweise, die etwas eigenwillig anmutet. Zum polychrom bemalten ländlichen Möbel haben sich in Lippe nach Aussage des Autors sehr wenige authentische Belege erhalten, die nur geringe Interpretationsansätze zulassen. Die kommerzielle Abbeizwelle der vergangenen Jahrzehnte bediente die Mode der Holzsichtigkeit und hat in großem Stil die originalen Farbfassungen getilgt. Dieser immer noch herrschende Zeitgeist ist in großen Teilen Mitteleuropas dafür verantwortlich, dass neu interpretierte Blankholzoberflächen an historischen Möbeln als Handelsware favorisiert werden.
Hervorzuheben ist das Kapitel 10 „Beschläge, Schlösser, Schmiedehandwerk“ (455–490). In Möbel-Monografien findet man diesen Aspekt oft vernachlässigt. Nichtsdestoweniger hat er seine volle Berechtigung, waren doch die Metallteile am Möbel oft das materiell Wertvollste. Mit Hilfe der stilkritischen Analyse sind die Zier- und Funktionsbeschläge an schlichten Möbelfronten oft eine wertvolle Datierungshilfe. Die Auswertung der höchst aussagefähigen Quelle der Lippischen Volkszählung von 1776 ergibt zahlenmäßig konkrete Vorstellungen von der Anzahl, der Verteilung und Häufung sowie der sozialen Zugehörigkeit der Schmiede in Lipper Stadt und Land. Diese Quelle wurde für das potenziell möbelherstellende Handwerk bereits herangezogen (153–156) und lässt diesbezüglich vergleichende Betrachtungen zu. Im Anhang hat Thomas M. Dann die gemeldeten Angehörigen der holz- und metallbearbeitenden Handwerke namentlich mit Verortung und Status in Tabellenform zusammengestellt (560–570).
Nicht übergangen werden darf der tabellarische Katalog der dokumentierten Möbelstücke in Privat- und Museumsbesitz, der als Kapitel 13 im Anhang abgelegt ist (531–560). Die 1313 Belege sind nach laufender Nummer ihrer anonymisierten heutigen Standorte („Hof-Nr.“) organisiert. Zusätzlich zum Möbeltyp sind die Maße, die Datierung und der topografische Raum, in welchem sich das Möbel befindet, angegeben. Die Spalte „Abb.-Nr.“ bleibt leer.
Thomas M. Dann legt mit dieser opulenten Monografie gleichsam ein Opus Magnum zur lippischen Möbelkultur vor, mit dem die Literatur zur Möbelforschung am Original eine bedeutende Bereicherung erfährt. Die anspruchsvoll angelegte Darstellung und Erschließung der historischen Bestände und der damit verbundenen Wohnkultur Lippes charakterisiert und ordnet die Vielzahl der Erscheinungsformen in Wort und Bild. Auch wenn es erwartungsgemäß nicht das „typische“ lippische Möbel gibt, werden doch einige spezifische Merkmale erkennbar, die sich hauptsächlich im Bereich des Dekors finden. Der kulturhistorische Ansatz geht weit über den engen regionalen Bezug hinaus und integriert die Möbelüberlieferung des ehemaligen Fürstentums in die übergreifende nordwestdeutsche Möbel-, Wohn- und Handwerkskultur. Das Anliegen des Autors, mit dem von ihm durchgeführten und publizierten Forschungsprojekt nicht nur für einen erhöhten Bekanntheitsgrad dieser Sachquelle zu sorgen, sondern damit gleichzeitig die Wertschätzung und Erhaltung der „Familienschätze“ (505) in Privatbesitz zu fördern, dürfte sicher aufgegangen sein.