Aktuelle Rezensionen
Edith Raim
Der jüdische Mäzen und die Nazis. James Loeb und Murnau 1919–1933
(Studien zur jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern 14), Berlin 2024, De Gruyter Oldenbourg, 337 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-11-123520-2
Rezensiert von Thomas Naumann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025
Als „außergewöhnlich[en]“ Gegenstand ihres Buches proklamiert Edith Raim in der Einleitung, die Geschichte des Mäzenatentums mit der Geschichte „der Weimarer Republik auf dem Land, genauer im südlichsten Oberbayern“ (1) zu verbinden. Dabei wirft sie der bisherigen Geschichtsforschung zur Weimarer Republik vor, meist die städtische Perspektive einzunehmen und „betriebsblind“ (1) zu sein gegenüber der „Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Deutschen, die weiterhin auf dem Land lebte“ (1). Im Zusammenhang dieser Lebenswirklichkeit will sie das zivilgesellschaftliche Engagement im Kaiserreich und dann insbesondere der 1920er Jahre in den Fokus nehmen, das in Form von Stiftungen und Einzelwohltaten unterschiedlichster Art und Motivation neben die staatlichen Strukturen tritt und diese oft nicht nur ergänzt, sondern, besonders in den 1920er Jahren, ersetzt. In den Mittelpunkt tritt hier dann die Hauptperson der Untersuchung, der in New York geborene Deutsch-Amerikaner jüdischen Glaubens, James Loeb (1867–1933), der seinen Wohnsitz ab 1906 in München und ab 1921 in Murnau-Hochried nahm und zum herausragenden sozialen Wohltäter des Marktes Murnau in einer wirtschaftlich prekären und sozial sich verdunkelnden Zeit wurde. Die diesbezüglich untersuchte Zeit ist vom Aufstieg des Nationalsozialismus geprägt, der in Murnau schon früh und während der Zeit des dort bis 1933 lebenden James Loeb Fuß fasst, und insofern ist man gespannt, wie sich dieses Verhältnis Loebs zur lokalen Politik und Gesellschaft gestalten wird.
Die Arbeit greift aber sowohl zeitlich als auch inhaltlich viel weiter als der Titel vermuten lässt, ja, sie wächst sich – manchmal angesichts einer zur Verfügung stehenden und berücksichtigten überaus vielfältigen Quellenlage amerikanischer und deutscher Provenienz eminent detailverliebt – fast zu einer Biografie Loebs und zu einer politischen und gesellschaftlichen Geschichte Murnaus in der Weimarer Zeit aus. Insofern passt der Titel des Buches nur teilweise zu seinem Inhalt. Das hätte sich leicht ändern lassen. Kapitel 1 (12–145) befasst sich mit James Loebs Zeit in den USA, seiner verzweigten, großen wirtschaftlich und gesellschaftlich Einfluss nehmenden Verwandtschaft; mit seinem enormen und frühen wirtschaftlichen Aufstieg als Bankier der erfolgreichen Bank Kuhn, Loeb & Co., die selbst den US-Eisenbahnbau zu großen Teilen finanzierte (49); seinen exorbitanten wissenschaftlichen Leistungen, die seine eigentlichen Interessen waren und die mit hohen Auszeichnungen versehen wurden; schließlich mit seinem überaus großzügige Summen umfassenden Mäzenatentum in den USA, etwa durch Stiftungen an Harvard, wo er neben ökonomischen Studien alte Sprachen sowie die Geschichte des Klassischen Altertums studiert hatte. Sein Mäzenatentum setzte sich fort in Deutschland, als er ab 1906 in München seinen Wohnsitz nahm und sich dort 1911 in der Maria-Josepha-Straße ein Anwesen errichten ließ; später kamen zwei weitere Gebäude hinzu. Hervorzuheben ist hier zunächst seine großzügige Unterstützung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München (heute Max-Planck-Institut für Psychiatrie). München verdankt ihm auch eine bedeutende Sammlung antiker Kleinkunst, die heute in der Staatlichen Antikensammlung verwahrt wird. Sein soziales Engagement für München schlug sich nieder vor allem in Geldspenden für die Lebensmittelversorgung im und nach dem Ersten Weltkrieg und dann im Jahr 1930 in der Errichtung eines Studentinnen-Wohnhauses in der Kaulbachstraße – ein Anliegen seiner Ehefrau Marie Antonie –, das heute noch besteht. Von den Baukosten übernahm Loeb über zwei Drittel, nämlich 250.000 RM. Ein regelrechter „transatlantischer Jetset“ (74) zwischen den USA und Deutschland gehörte schon früh zu seinem Leben und auch zum Leben seiner weitverzweigten jüdischen Verwandtschaft. So reiste er zum Beispiel 1910 in die USA zurück, um ein lange geplantes Vorhaben zu verwirklichen: die Gründung der „Loeb Classical Library“, die lateinische und griechische Texte in englischer Übersetzung umfasst und bis heute erscheint. Kapitel 2 (146–205) befasst sich mit dem Markt Murnau in den 1920er Jahren – wo sich Loeb ab 1921 dauerhaft im abgelegenen Ortsteil Hochried in einem von ihm erbauten herrschaftlichen Gut mit vielen Bediensteten niederließ –, insbesondere auch mit seinen sozialen Zuständen und dem dortigen Aufstieg des Nationalsozialismus, der an diesem Ort besonders eklatant war und frühzeitig einsetzte. Hier wird auch nicht versäumt, die damalige oberbayerische und besonders Murnauer Mentalität zu beleuchten, die, wie die Autorin analysiert, in diesem ansonsten von wenig Abwechslung geprägten Ort auch zu Krawall und zu Gewalttätigkeiten neigte. Die Lebensbedingungen der Einwohnerinnen und Einwohner des Ortes am Staffelsee waren zu jener Zeit „kärglich“ (146), „bäuerliche Arbeit“, die in Viehzucht und Milchwirtschaft bestand, „blieb Handarbeit“ (146). „Die überwiegend katholische Bevölkerung verharrte in einem selbstgenügsamen, fortschrittsfeindlichen und allem Fremden abholden Dasein, das von Bräuchen der Vergangenheit geprägt war.“ (146) Das kulturelle Leben war auf den Ort beschränkt, 1928 wurde dieses von 60 (!) Vereinen bestimmt, die sich „entlang sozialer Schichten“ (148) aufspalteten; und zwar in „christlich, national und bürgerlich“ und in als links angesehene Arbeitervereine, die am Rande der Lokalgesellschaft standen und von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert wurden (148). Diese Vereine, die sich in den 1920er Jahren zunehmend, nicht zuletzt durch den völkischen „Bund Oberland“ politisierten und militarisierten und erfolgreich von rechtsradikal-völkischen Bewegungen unterwandert wurden, was insbesondere auch die bürgerlichen Sportvereine und alle zu einem Dachverband zusammengeschlossenen „Vereinigten Vaterländischen Verbände Murnaus“ betraf (153), charakterisiert die Autorin im Einzelnen. Ab ca. 1930 „war Murnau ein Knotenpunkt der völkischen Bewegung“ (161), völkische Redner aus München traten auf in den Gaststätten, auch zum Beispiel Heinrich Himmler, und da Abwechslung in diesem Ort selten war, wurde jeder Anlass zu einem Wirtshausbesuch gerne angenommen. NS-Veranstaltungen wirkten im Rahmen der örtlichen Mentalität stets kurzweilig: „starkes Gebrüll, simple Argumentationen, perfide Beleidigungen des politischen Gegners, eingängige antisemitische Parolen, alles begleitet vom eigenen Biergenuss, dazu Aufmarsch schmissiger SA-Formationen […] nicht selten mit Schlägereien verbunden“ (186). Solcherlei sowie die Tatsache, dass Einheimische, „die seit Generationen im Ort verankert waren […] dem Nationalsozialismus als neuem Phänomen die Türen in eine traditionelle Gesellschaft“ (185) öffneten (was immer, so sei angemerkt, damals wie heute, eine der Voraussetzungen für den Erfolg rechtsradikaler Bewegungen ist), ermöglichte den raschen Aufstieg dieser menschenfeindlichen Ideologie in Murnau, der schließlich dank örtlicher NS-Protagonisten auch zum „einzig zeitgenössisch belegten Umsturzversuch [im Rahmen des Hitlerputsches 1923] außerhalb Münchens“ (204) führte. Dieses wird in Kapitel 2.5.5. ausführlich beschrieben. James Loeb hatte zu all diesem Geschehen, von dem nicht sicher ist, was er in Hochried mitbekam, wohl eine ambivalente Meinung. Er äußert sich einmal besorgt, dann wieder beschwichtigend und mit Fehleinschätzungen (205). Eine wirkliche Ahnung von der heraufziehenden Gefahr hatte er wohl nicht und er, der durchaus vaterländisch Gesinnte und im Bayerischen Verankerte, wollte es wohl auch nicht wahrhaben. Es ist „schwer zu sagen“ (205), beurteilt dies die Autorin an dieser Stelle. Kapitel 3 (206–221) widmet sich dem Murnauer Kriegerdenkmal und Loebs Beteiligung daran. Dabei wird auch ausführlich auf Geschichte und Problematik der oberbayerischen Kriegerdenkmale eingegangen, für deren Errichtung nach dem Ersten Weltkrieg von vielen Gemeinden erhebliche Mittel aufgebracht wurden. Das Kriegerdenkmal in Murnau entwickelte sich gar zu einem „lokalen Skandal“ (212). Bereits im Jahr 1922 stiftete Loeb hierfür 50.000 RM, was nicht anonym blieb. Aber erst 1923, als Loeb nochmals 100 Dollar spendete, versetzte diese kleine Spende Loebs, das „jüdische Geld“, endgültig „die völkische Bewegung in Rage“ (216). Ein führender Murnauer Völkischer schrieb an Hitler, es müsse „auf die Gemeinde und die anderen Rindviecher“ (217), die das Geld angenommen haben, Druck ausgeübt werden, um dem „Judenlümmel“ (217) das Geld zurückzugeben und mit anderen Geldquellen zu ersetzen. Man versündige sich damit an den deutschen Gefallenen. Die vorhergehenden 50.000 RM Spende werden seltsamerweise in diesem Pamphlet nicht erwähnt. Hitler hat sich jedoch nie darum gekümmert. Die Gemeinde, die zu dieser Zeit nachvollziehbarer Weise zu Loeb stand, wies dies als „verrückte[s] Ansinnen“ (220) zurück.
Kapitel 4 (222–264) behandelt die Loebschen Stiftungen und Spenden seit Mitte der 1920er Jahre. Zunächst wird hier der politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmen analysiert, in dem Loeb stiftete, insbesondere die Entwicklung Murnaus zum besonders NS-beherrschten Ort seit Wiedergründung der NSDAP im Jahr 1925. Ein eigenes Unterkapitel (4.3.) wird dem Tourismus in Murnau gewidmet, der Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatte und zu dem die Murnauer, wie man aus den Schilderungen erkennt, ein geradezu schizophrenes Verhältnis pflegten. Er brachte die Einheimischen in Kontakt mit „Fremden“ – auch internationaler Herkunft – und zwar recht engen, denn Murnau hatte wenig professionelle Hotel-Gastronomie: „Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts war fast jedes vierte Wohnhaus in der Saison Quartier für Urlauber.“(168) Man profitierte zunehmend von den Gästen, betrachtete sie aber auch argwöhnisch. Es „klaffte eine große Kluft zwischen Feriengästen und Einheimischen, die nicht nur Unterschiede in Sprache, Konfession und Gebräuchen betraf“ (172). Und es gab die „zugereisten Einheimischen“ (172), besonders nach dem Ersten Weltkrieg, die zum Beispiel aus entlassenen, oft rechtsextremen, von Heldentaten schwadronierenden Offizieren bestanden (184), die sich Landsitze hier bauten oder sich einmieteten. Nach dem Ersten Weltkrieg war der Tourismus eingebrochen beziehungsweise war aus wirtschaftlichen oder – noch öfter – politischen Gründen stark beschränkt worden, ehe er in den 1920er Jahren wiederauflebte. Bereits im Jahr 1927 konnten so 40.000 Übernachtungen gezählt werden. Hitler nahm die Zunahme des Tourismus in den bayerischen Alpen zum Anlass einer Hetzrede, indem er die angeblich reichen jüdischen Touristen attackierte, die in prachtvoller Ausrüstung entlang der Bergbahnen schmarotzten, um „ihr Fett zu verlieren“, neben sich den in zerschlissenen Kleidern „kraxelnden“ Einheimischen (174). Randständig in Murnau lebend, ohne Kontakte zur Bevölkerung, aber „ein aufmerksamer Zeitungsleser“ (265) unterstützt Loeb, trotz der Querelen um seine Kriegerdenkmalspende, stets um Anonymität bittend, was aber nicht immer beachtet wurde, die Murnauer (1925 rund 3.000 Einwohnende zählend), wo er nur kann: Die von Edith Raim aufgeführten, sozialen Zwecken dienenden und für die Infrastruktur eingesetzten Spenden für seine Wahlheimat, die er stets im Einklang und mit Willen seiner Ehefrau Marie Antonie vornahm, sind gefühlt endlos. Sie werden in Kap 4.4. im Einzelnen aufgeführt. Es sind Spenden für Kriegsteilnehmer, für die Armenfürsorge, die von kleineren Summen bis zu 100.000 RM reichten. Ein Waisenhaus in Weilheim wurde mit 11.000 RM bedacht. Auch der Wohnungsinfrastruktur nahm Loeb sich an: „Die etablierten Familien beherrschten das Ortszentrum mit imposanten Häusern. Wohlhabende Neu-Murnauer errichteten um den Ortskern herum Villen.“ (248) Doch für Geringverdiener herrschte Wohnungsmangel. So wurde eine Baugenossenschaft gegründet, die nur durch ein Darlehen James Loebs in Höhe von 70.000 Goldmark gelang. Unter örtlichen Querelen, ausgelöst durch den Grund- und Hausbesitzerverein, wurden mehrere Kleinwohnungshäuser erbaut: Es würden „linksstehende Arbeiter“ (249) dort untergebracht, so die darauffolgende Kritik. Weitere Spenden für die Infrastrukturmaßnahmen Murnaus: Ein Sanitätsauto von Loeb und zwei weiteren Mäzenen für 12.000 RM, für eine Automotorspritze rund 11.000 RM. Im Jahr 1924 richtet er eine Stiftung zur Unterstützung Ortsarmer ein und sendet dafür fortlaufend bis 1932 Beträge an die Gemeinde, die diese in kleinen Summen für den täglichen Bedarf an hunderte Bedürftige verteilte. Loeb wusste wohl schon bald, „dass Murnaus Bedürftige langfristig von seinen Gaben abhängig waren“ (259). Murnau hatte in Zeiten bitterster Not dank James Loeb ein regelrechtes „Sicherheitsnetz lokaler Wohltätigkeit“ (264). Die gesamte nachweisbare Summe an Bedürftigkeitsspenden belief sich in diesen acht Jahren auf „mindestens 16.437“ RM (261); es war aber sicher viel mehr. Von diesen Spenden profitierten auch „prominente Nationalsozialisten“ (262). Eine der größten Wohltaten Loebs für seine Heimatgemeinde aber war die Stiftung des Krankenhauses. Wie es dazu kommt, wird in Kapitel 5 (265–289) beschrieben, das zunächst ausführlich den Niedergang der Weimarer Republik im Ort beschreibt sowie die in etlichen Briefen Loebs geäußerten Fehleinschätzungen über Hitler, selbst nach der Reichstagswahl des Jahres 1932, was sich ungefähr so zusammenfassen lässt: Auch wenn er die politische und gesellschaftliche Lage angesichts des zunehmenden Erstarkens des Nationalsozialismus als prekär beurteilt (und auch schon mal im Jahr 1931 einen Wachmann in seinem Haus engagierte, (272)), so ist er der Ansicht, der Demagoge Hitler werde sich in Regierungsverantwortung gar nicht lange wohl fühlen, sondern seine Demagogie und Agitation lieber in der Opposition weiter betreiben. In der Regierung werde die NSDAP ihre Anziehungskraft schnell verlieren. Und das Gerede, die Juden würden bald aus dem Land getrieben, sei „bombast“ (267). Vielmehr brauche Hitler mit der Zeit die Finanzkraft jüdischer Industrieller, um den Erzfeind, die Sozialdemokratie, zu bekämpfen (266–267). Wie Viele war Loeb also erstens dem bösen Irrtum verfallen, man könne aufstrebende Rechtsradikale entzaubern, indem man sie politisch einbindet und dadurch schnell wieder los wird. Zweitens hatte er die mörderischen Absichten der NSDAP hinsichtlich der jüdischen Bevölkerung, die ja schon in der Sprache seit langem zum Ausdruck kamen, vollkommen unterschätzt. Alles werde sich mit einem „Ende der Arbeitslosigkeit“ (267) stabilisieren. In Murnau festigte sich die NSDAP weiter, die Reichstagswahlen zeigten kontinuierlichen Aufschwung von 10,9 Prozent im Jahr 1924 zu 52,8 Prozent im Jahr 1933 (269). Das gelang auch mit einem geschickten und berechnenden großen Engagement in lokalen Netzwerken wie etwa Vereinen, wie Edith Raim gut analysiert. Wer sich bei gesellschaftlichen „Events“ eben groß engagierte, „verdiente Anerkennung. Die zweifelhaften politischen Überzeugungen waren sekundär“ (269). Darüber hinaus herrschte hinsichtlich der Nazi-Umtriebe „Kompatibilität mit der lokalen Gesellschaft“ (269). Die nationale und auch die örtliche politische Lage hielt Loeb also nicht davon ab, weiter als Wohltäter in Murnau zu agieren. Im Jahr 1931 erfolgte eine seiner größten finanziellen Wohltaten für die Gemeinde: Für den lange geplanten Neubau des Krankenhauses gab er einen Kredit von 400.000 RM auf 25 Jahre zu zwei Prozent Zins. Es wurden wohl 500.000 RM daraus, und aus ihnen wurde schlicht eine Schenkung! Loeb tat dies auch, um der örtlichen Arbeitslosigkeit zu begegnen, da, wenn möglich, örtliche Betriebe (es waren dann 14 Betriebe) bevorzugt werden sollten. Im Falle einer solchen Summe konnte der Kreditgeber nicht verheimlicht werden, und so dauerte es nicht lange, bis nationalsozialistische Kreise begannen, dagegen zu „stänkern“ (278). Bei diesem Objekt profitierten durch Aufträge aber auch Nazi-Größen des Ortes wie der NS-Ortsgruppenleiter. Nach vielfältigen Querelen um die Auftragsvergaben (278–282) wurde der Bau im Frühjahr 1932 begonnen und schon im Dezember abgeschlossen; das Haus war mit 45 Betten ausgestattet und sofort belegt. Angebracht wurde eine Ehrentafel für James Loeb, und seine Ehefrau und er wurden einstimmig vom Gemeinderat zu Ehrenbürgern ernannt. Kurz nach dem Tod seiner Ehefrau verstarb James Loeb am 27. Mai 1933 mit 65 Jahren. Es ist ihm dadurch Schlimmes erspart geblieben. Noch gedachte auch der inzwischen amtierende NS-Bürgermeister seiner in einer Todesanzeige, enthaltend das Versprechen, Loebs Andenken, des „großen Menschenfreundes“ (289), in Ehren zu halten. „Danach wurde Loebs Andenken bewusst ausgelöscht.“ (289) Hingegen wurde die (nichtjüdische) Ehefrau Marie Antonie als Stifterin behauptet. Kapitel 6 (290–310) befasst sich mit dem Nachleben Loebs bis in die Gegenwart. Es widmet sich seinen Stiftungen, die er in seinem Testament 1931 einrichtete und die selbst nach seinem Tod noch in Kraft treten sollten, sowie der Geschichte seines Anwesens und dem Gedenken und den Erinnerungen. 20.000 Dollar waren für eine „James und Marie Antonie Loeb Stiftung“ vorgesehen, deren Zinsen Bedürftigen Murnaus zugutekommen sollten. Alle Darlehen wurden erlassen, beträchtliche Summen, allein der Baugenossenschaft Murnau 52.000 RM. Die nun unter NSDAP-Führung stehende Gemeindeverwaltung bemühte sich 1933, so schnell wie möglich an das Geld heranzukommen. Nach komplizierten Verhandlungen, die etwas widersprüchlich dargelegt werden (292–294), erhält die Gemeinde im Jahr 1939 rund 61.000 RM (Dollarkurs und Zinsen). Das „jüdische Geld“ hätte sie in diesem Jahr eigentlich gar nicht mehr annehmen dürfen, beruft sich jedoch auf das vor den Erlassen der Nazi-Regierung verfasste Testament von 1931. Schon bald „bediente sich der NS-Gemeinderat freizügig aus dem Stiftungsvermögen“ (295) für alle möglichen gemeindlichen Anliegen einschließlich Gaben für die Wehrmacht. Und es trat ein, was abzusehen war: Der Name Loebs wurde 1943 aus der Stiftung getilgt und diese in „Wohltätigkeitsstiftung Murnau“ umbenannt. Der Gemeinderat dazu: „Mit den rassischen Grundsätzen des nationalsozialistischen Staates ist es unvereinbar, dass der Name eines Juden öffentlich in Erscheinung tritt.“ (296) Auch die Stiftertafel am Krankenhaus ließ man entfernen. Das Geld nahm man gerne, den Geldgeber verachtete man nun. Entlarvender konnten sich die Nationalsozialisten nicht zeigen. Nach 1945 wurde der ursprüngliche Name wieder eingeführt; es gelang der Gemeinde nach der Währungsreform jedoch trotz vieler Anstrengungen nicht, das Altgeldguthaben in Deutsche Mark umzuwandeln, so dass das Stiftungsguthaben erlosch. Die Geschichte des riesigen Gutes Loeb in Hochried nach dessen Tod ist vielfältig. Nachdem Verwandte des Stiefsohns und Testamentsvollstreckers das Anwesen von 1934 bis 1939 bewohnten, diente es in den Kriegsjahren evakuierten Familien als Unterkunft, bevor dann Willy Messerschmitt einzog. 1950 mietete die CIA das Anwesen zur Ausbildung von Agenten. Nachdem diese wieder abzog, gab es die verschiedensten Interessenten einschließlich der Gemeinde, die aber den Kaufpreis von 500.000 DM trotz angestrengter Bemühungen (305–308) nicht aufbringen konnte. Erwerber wurde schließlich der Katholische Jugendfürsorgeverein der Diözese Augsburg. Das Gedenken an James Loeb nach 1945 fällt ziemlich bescheiden aus. Auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Murnau veranstaltete die Gemeinde zum 20. Todestag eine Gedächtnisfeier in der Turnhalle, und Loeb wurde „als der größte Gönner Murnaus gewürdigt“ (310); am Krankenhaus wurde die von den Nazis abgeschraubte Stifterplatte durch eine Marmorplatte ersetzt. In München erinnerte man sich seines 50. Todestages mit Ausstellungen und Ansprachen, und es wurde ein „Teil der Kraepelinstraße“ (310) nach ihm benannt. 1990 erinnerte der Zweite Bürgermeister Christian Ude anlässlich des Anbringens einer Gedenktafel an Loebs ehemaligem Haus in der Maria-Josepha-Straße 6–8 an ihn, weil er auch München auf mancherlei Gebieten mehr als großzügig unterstützt hatte. Das Schlossmuseum Murnau gestaltete 2023 einen Raum mit einigen von Loeb gesammelten antiken Skulpturen. Und zuletzt trägt die Grundschule Murnau – erst seit einigen Jahren – seinen Namen.
In den Schlussbemerkungen, etwas unglücklich überschrieben mit „James Loeb, Desperado des Idealismus“ (311) – ein „Desperado“ war er nun wirklich nicht – versucht die Autorin zu ergründen, warum James Loeb sich finanziell derart in Murnau engagierte. Das sonst häufige Motiv für Mäzene, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, habe er nicht nötig gehabt, und er, der „im Markt Murnau […] nie gesehen“ (312) wurde, habe sie auch nicht gesucht. Es habe angesichts des großen Bildungsunterschieds schlicht „keinen ‚common ground‘ für Loeb und die Murnauer“ (313) gegeben, zu denen er ein „patriarchalisches“ (312), „fast feudales Verhältnis“ (312) eingenommen habe. Seine Fürsorgeleistungen für die Murnauer und sein gesamtes Mäzenatentum sieht Edith Raim in anderen Dingen begründet: In seiner grundsätzlichen Philanthropie, die sich herleiten könnte zum Beispiel aus der „jüdischen Sozialethik“ (313), der Tradition seiner gesamten, großzügiges Mäzenatentum leistenden Familie, die solches „sozial konditionierte Verhalten“ (315) wohl vererbte, weiter aus der im amerikanischen Bürgertum allgemein verankerten Wohltätigkeit. Nicht zuletzt aber war es, so die Autorin, seine zweifellos vorhandene Absicht, „die Zivilgesellschaft [zu] stärken gegen den aufziehenden Nazismus“ (316). Ein Bürger zu sein, der durch sein zivilgesellschaftliches Engagement dazu beiträgt, dass die staatlichen Institutionen gestärkt und ergänzt werden. „Seine Stiftungen überdauerten den Hass und die Dummheit [der] Nationalsozialisten […] James Loebs Vermächtnis ist die Hoffnung, dass langfristig Menschlichkeit und Demokratie siegen.“ (317) Dies ist in heutiger Zeit wieder mit einem besonderen Ausrufezeichen zu versehen! Die großartige Arbeit Edith Raims, die auf jahrelangen intensiven lokalen, nationalen und internationalen Studien und Recherchen und der einschlägigen Literatur fußt, ist auch von großem politischen Wert für die Gegenwart.
Zu erwähnen ist der Druckkostenzuschuss der Marktgemeinde Murnau zu dieser Publikation (vgl. VII). Dies zeigt, dass die heutige Marktgemeinde sich ihrer Verantwortung bewusst ist, an dieses dunkle Kapitel Murnaus in jener Zeit gerade auch heute wieder zu erinnern.