Aktuelle Rezensionen
Andreas Tacke/Iris Lauterbach/Michael Wenzel (Hg.)
„Gartenlust“ und „Gartenzierd“. Aspekte deutscher Gartenkunst der Frühen Neuzeit
(Hainhoferiana 4, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 69), Petersberg 2023, Michael Imhof Verlag, 244 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7319-1324-5
Rezensiert von Ursula Winkler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025
Gartenkultur vom Feinsten! – Der wohlgestaltete und opulente Band vereint 17 Aufsätze und 170 Abbildungen. Er führt tief in die wohl interessanteste und zu ihrer Zeit am aufwändigsten illustrierte Epoche der Gartenkultur: Die Renaissance, in deutschen Landen. Er vereint Quellen und Forschungen über „Herrlich schöne, wolgezierte und nutzbare Gärten“ (Gartenordnung des Johann Peschel, 1597), über eine kulturelle Blütezeit, die mit dem Dreißigjährigen Krieg weitreichend zu Ende ging, aber in formalen Fragmenten durchaus die Barockmode speiste. Die französischen Broderien nahmen die vormaligen Stickmuster- oder Knotenmuster auf, doch das „massive Auspflanzen barocker Broderien mit Buchsbaum ist ein im 19. Jahrhundert aufgekommener und leider immer noch beliebter Interpretationsfehler.“ (128).
Einen Teil der Beiträge bilden grundsätzliche Erläuterungen wie „Grammatik und Bepflanzungselemente des Renaissancegartens“ (Clemens Alexander Wimmer): „In der frühen Neuzeit gibt es nicht den Garten an sich, sondern eine Reihe von kanonisierten Gartentypen, die mehr oder weniger vollständig nebeneinander auftreten, wie den Baumgarten (pomarium), den Küchengarten (hortus), den Arzneigarten (hortus medicus), den Blumengarten (florilegium), den Lustgarten (pratum) und den Tiergarten (vividarium).“ (119) Tilmann Walter stellt „Ärzte als die frühesten Botaniker“ vor, wofür er ausführlich deren Studien an italienischen Universitäten, deren Briefnetzwerke, Herbarien und erstmals illustrierte Kräuterbücher, Pflanzenlexika und mehrsprachige Benennungskataloge beschreibt. In der Hauptsache werden fürstliche und bürgerliche Gärten veranschaulicht, mit Schwerpunkt Augsburg, denn: „Die Gärten der reichen Augsburger Kaufleute, besonders der Fugger, standen in ihrer ungewöhnlich aufwendigen Gestaltung dem Münchner Hofgarten keineswegs nach, im Gegenteil. Der herzogliche Hof konnte sich Wünsche nach extravaganter Pflanzenauswahl nur dank des Rats und der Vermittlung Hans Fuggers erfüllen.“ (86) Iris Lauterbach, Forschungsreferentin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und Autorin zu vielen Aspekten der europäischen Gartenkunst, erzählt beinahe in zeitgenössisch-familiärer Innenperspektive von Lustbarkeiten wie von Schwierigkeiten, die ein Garten bot. Dass die Gartengeschichte auch für naturwissenschaftliche Disziplinen grundsätzliche Fakten erhebt, zeigen die konkreten Wetterdaten zur „Kleinen Eiszeit“ Mitte des 16. Jahrhunderts (77).
Der Impuls, die Gartenthematik in den Fokus des IV. Philipp-Hainhofer-Kolloquiums im schwäbischen Irsee und entsprechend die Publikation in die Reihe der Hainhoferiana zu stellen, entstand aus dem bis 2029/30 laufenden DFG-Projekt „Kommentierte digitale Edition der Reise- und Sammlungsbeschreibungen Philipp Hainhofers (1578–1647)“ – https://hainhofer.hab.de –, betreut von Andreas Tacke (Stiftung LEUCOREA in der Lutherstadt Wittenberg) und von Michael Wenzel (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Philipp Hainhofer stellte eine der interessantesten Figuren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dar; als Augsburger Kaufmannssohn studierte er in Padua, Siena, Köln und Amsterdam. Herzog Wilhelm V. von Bayern bezeichnete ihn nach einem Besuch in dessen Haus und Kunstkammer als „ausser der religion für ainen erbarn und verstendigen jungen man“. Hainhofer bewegte sich in höchsten Kreisen, vordergründig als Kaufmann für wertvolle Kunstkammerobjekte, zudem als „Agent“ für Waren, politische Informationen, Bücher, Gartenwissen, als „cultural broker“.
Den Begriff „Gartenzierd“ benutzte Hainhofer 1611 in einem seiner Briefe an Herzog Philipp II. von Pommern-Stettin. Dieser eine der beiden „Zentralbegriffe der frühen deutschen Gartentheorie“ (Hubertus Fischer), ebenso wie „Gartenzierlichkeit“, benennt die Aufteilung, Anordnung der Beete und Maßverhältnisse, die geformte Gartenanlage, die erst im 18. Jahrhundert als „Gartenkunst“ qualifiziert werden wird. Der andere, „,Gartenlust‘ meint also dreierlei: a) die Lust am und im Garten, b) die Ausstattungen, Elemente und Objekte, die dieser Lust dienen, und c) das Handwerk oder die Fähigkeit, solche Dinge herzustellen.“ (15) In einem seiner Reiseberichte schrieb Hainhofer über ein eindrückliches Gartenareal, die „Hofküchengärten der Wittelsbacher“ in München, 1611. Ähnliche gab es auch in den Residenzen Dachau und Landshut. Die Leiterin des Projektes „Archäologie München“, Elke Bujok, spürt diesen „Schwaiggärten“ nach, die außerhalb der Stadtmauer lagen und fasst zusammen: „Aus den Erträgen der Hofküchengärten wurden die Hofküche und die Hofapotheke beliefert. Die Hofapotheke wiederum versorgte neben dem Hof auch Klöster, Spitäler und Siechenhäuser mit ihren Heilmitteln, sodass die Erträge auch Armen und Kranken zugute kamen. […] Nachdem die Hofküche und die Klöster versorgt waren, wurden das überschüssige Gemüse und die Samen aus den Hofgärten auf dem Markt verkauft, so dass auch die Münchner Bürger davon profitierten.“ (106) Zur Illustration sind Pflanzenporträts aus dem „Hortulus Monheimensis“ (Monheim, Donau-Ries, damals Pfalz-Neuburg), einem Florilegium von 1615, beigestellt, also Gartengenüsse für die Hoftafel: Spargel, Borretsch, Johannisbeeren, Erbsen, Bohnen, Chili, Basilikum.
Die Beiträge im Band beginnen mit Darstellungen verschiedener Gartenfunktionen und folgen der hortohistorischen Chronologie: „Pflanzen, Gärtner und Herbare: Ärzte als die frühesten Botaniker im deutschen Sprachraum“ (Tilmann Walter) und „… ‚Die Natur zu bewundern und zu beobachten.‘ Botanische Gelehrtengärten des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum“ (Christiane Lauterbach). Helmut Zäh stellt mit Konrad Peutinger (1465–1547) einen weiteren Augsburger Universalgelehrten vor, über den er aus einem 1521 lateinisch verfassten Brief von dessen Tochter erfährt, dass er „nicht nur an botanischer Literatur interessiert war, sondern für ihn auch die praktische gärtnerische Tätigkeit, der er in mehreren ihm gehörenden Gärten nachging, einen außerordentlich hohen Stellenwert gleich nach den gelehrten Studien besaß“ (53). Auch der „Global Player“ Hans Fugger hatte sich als „halben Gertner“ verstanden, mit Vorliebe für die „Cipolle von Constantinopel“, die Tulipanen oder Tulpen (98).
Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beiträge aus Mähren/Tschechien (zum Renaissance-Garten in Telč, Zdeňka Míchalová) und Südtirol/Italien. Die von Waltraud Kofler Engl erforschten Gärten des Augustiner-Chorherrenstiftes Neustift bei Brixen, angelegt 1667/68, sind die einzigen unter den vorgestellten Gartenanlagen, die teilweise noch in kontinuierlicher Nutzung stehen, bewirtschaftet von einem Stiftsgärtner, weitläufiger Nachfolger des „Hortulanus“, der seit den 1450er Jahren aus den Reihen der Chorherren bestimmt wurde (221).
Alle 17 Beiträge sind in fruchtbaren Fundamenten verwurzelt, verzweigen sich in Blüten von Ideen und fügen ihre Gartenbilder zu inspirierender Harmonie, in komplexer Struktur zusammen und sind erquicklich zu studieren. Die deutsche Gartenkunst ist gegenüber den Gärten italienischer Villen oder französischer Schlösser nur verhalten überliefert und vor allem nur punktuell intensiv erforscht. Umso wichtiger ist dieser Band, dem weitere in diesem „herrlich schönen, wolgezierten und nutzbaren“ Forschungsfeld folgen mögen.