Aktuelle Rezensionen
Christoph Sauter/Daniel Karrasch
Bastowerkstatt. Else Stadler-Jacobs und ihre Tiere aus Bast
Berlin 2025, Deutscher Kunstverlag, 160 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-422-80335-0
Rezensiert von Elena Zendler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025
Die lange Zeit in Vergessenheit geratenen Basttiere der Kunsthandwerkerin Else Stadler-Jacobs (1899–1997) werden aktuell ausgestellt: Zunächst waren sie 2023–2024 im Staatlichen Textil- und Industriemuseum (tim) in Augsburg zu sehen, und nun befinden sie sich bis September 2025 im Deutschen Hutmuseum in Lindenberg. Im Zuge dessen ermöglichen die Kuratoren Daniel Karrasch und Christoph Sauter auch mit dem Ausstellungskatalog Einblicke in ihr Leben und Werk. Reich bebildert, zeichnet der biografische Teil des Katalogs auf rund 60 Seiten anhand zahlreicher historischer (Ego-)Dokumente das Leben einer ambitionierten und kreativen Geschäftsfrau nach, „die Mitte der 1920er Jahre ihren Weg suchte und mit ihrer ‚Bastowerkstatt‘ von Pasing aus zu einer Unternehmerin wurde, die vielen Frauen Arbeit bot und selbst dabei bescheiden blieb“ (2). Daran schließt sich der zweite Teil des Katalogs an, der auf etwa 90 Seiten eine vielfältige Auswahl historischer und aktueller Fotografien der Basttiere präsentiert.
Wie die Autoren in einem Vorwort anmerken, stießen sie zufällig auf Else Stadler-Jacobs und deren Basttiere. Ausgangspunkt sei eine intensive Beschäftigung mit der Fotografin Mathilde Nora Goudstikker (1874–1934) im Zuge einer Ausstellung gewesen, bei der sie zunächst auf eine Verbindung zu Anna Jacobs, der Mutter von Else Stadler-Jacobs, aufmerksam geworden waren. Nachdem ihnen die Nachkommen gestattet hatten, im Familienhaus auf dem Dachboden nach Dokumenten zu recherchieren, entdeckten sie dort auch Kisten mit Arbeiten von Else Stadler-Jacobs – und damit zahlreiche Basttiere, die seit Jahrzehnten aufbewahrt worden waren. „Schnell war uns klar, dass es sich bei diesem riesigen Tierreich aus Bast um einen umfangreichen und einzigartigen Schatz handelte. Wir nahmen die Fährte auf und starteten die nächste Expedition.“ (ebd.) Durch Interviews mit den Angehörigen und deren Dokumentensammlungen wurde ein vertiefter Zugang zu einer arbeitsreichen und kreativen Biografie möglich.
Ein Prolog führt eingangs zurück in die Kindheit Else Stadler-Jacobs (geb. Jacobs) und das Familienleben im München der Jahrhundertwende. Historische Fakten aus zeitgenössischen Dokumenten werden mit fiktiven Dialogen verknüpft, wie sie sich zwischen dem Kind Else Jacobs und ihren – künstlerisch tätigen – Eltern zugetragen haben könnten. So entsteht ein lebendiges Bild der Familie und Münchens, das damals als bedeutende Kunstmetropole Europas galt.
Anschließend widmet sich der biografische Teil in mehreren Unterkapiteln der Geschichte der Bastowerkstatt und dem Lebensweg der Kunsthandwerkerin. Im Zentrum stehen zunächst ihre Kindheit und Jugend, die sie in einem liberalen und fördernden Elternhaus verbrachte. Die Autoren konnten dabei auf Briefe, Schulhefte, Zeichnungen und Fotografien zurückgreifen, die einen Eindruck von Else Jacobs’ Kindheit in einem bildungsbürgerlich geprägten, kreativen Umfeld vermitteln. Nach dem Besuch einer Höheren Töchterschule begann sie ein Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule München. Die Ausbildung fiel in eine Zeit gesellschaftlichen Wandels, in der die „strikte Trennung zwischen männlichen und weiblichen Klassen“ aufgehoben wurde (21–22). Zahlreiche Fotografien und Dokumente, die im Katalog gezeigt werden, geben wertvolle Einblicke in ihren Ausbildungsweg. 1923, nach Abschluss ihres Studiums, machte sich Else Jacobs als Kunstgewerblerin selbstständig.
Ihre im Katalog abgebildeten frühen Arbeiten zeigen ihre Auseinandersetzung mit verschiedenen Darstellungsformen und Kunstströmungen. Aus Zeitschriften entnommene Erwähnungen ihrer in Ausstellungen präsentierten Produkte belegen ihren frühen Erfolg. Zudem war sie durch ihre Mitgliedschaft im Bayerischen Kunstgewerbeverein München e. V. gut vernetzt. Ihre Einnahmen während der 1920er Jahre konnten die Autoren anhand von Buchhaltungsnotizen rekonstruieren. Ab 1925 sind Verkäufe von Tierfiguren belegt, die in ihrer eigenen Werkstätte im Garten des Elternhauses entstanden. „Die Weimarer Republik der 1920er Jahre bot zunächst ein günstiges Umfeld für hochwertiges und innovatives Kunstgewerbe […]. Die serielle Herstellung ermöglichte im Vergleich zu den Unikaten der Kunst niedrigere Preise und damit höhere Absatzzahlen“ (39). Fotografien erster Modelle aus Bast – einem um 1900 als kunsthandwerkliches Material beliebten Werkstoff, dessen Popularität auf den Flechtarbeiten der indigenen Bevölkerung Amerikas beruht – sowie Werbeanzeigen in Zeitschriften dokumentieren die Anfänge der Bastowerkstatt.
Ab 1930 war Else Jacobs regelmäßig mit ihren Basttieren auf der Grassi-Messe in Leipzig vertreten, einer wichtigen internationalen Plattform für Kunsthandwerk. Die Teilnahme wirkte sich positiv auf ihre Bekanntheit aus – Besprechungen in Fachzeitschriften und die Buchhaltungsunterlagen belegen ihren Erfolg. Dieser äußerte sich etwa in einer immer internationaler werdenden Kundschaft, darunter auch zahlreiche Kaufhäuser. Das Sortiment wuchs stetig, ergänzt auch um Fanartikel, die „Elses Gespür für Trends“ (42) erkennen lassen. Erste Mitarbeiterinnen wurden eingestellt, meist in Heimarbeit, „denn die Nachfrage nach Objekten aus Bast konnte eine Person allein nicht mehr bedienen“ (ebd.). Auch nach ihrer Eheschließung 1932 und als Mutter blieb sie – nun unter dem Doppelnamen Stadler-Jacobs – regelmäßig auf der Leipziger Messe präsent und belieferte ein internationales Publikum.
Der Zweite Weltkrieg unterbrach den kontinuierlichen Betrieb der Bastowerkstatt. „Auch wenn sie die Herstellung von Basttieren im Privaten nie ganz aufgab, ist eine geschäftliche Tätigkeit aus der Zeit bis zum Ende des Krieges nicht belegt.“ (46) Doch bereits kurz nach Kriegsende lässt sich ein erneuter Aufschwung der Werkstatt beobachten, den Sauter und Karrasch anhand zahlreicher Archivalien nachzeichnen können. Die amerikanische Besatzung förderte den Wiederaufbau Münchens zur süddeutschen Kulturhauptstadt – eine Entwicklung, von der auch Else Stadler-Jacobs profitierte. 1947 stellte sie erstmals Mitarbeiterinnen in Vollzeit ein. „Die Arbeitssituation im privaten Wohnhaus, dem ‚Häusl‘, muss sehr beengt gewesen sein, der Platz reichte bald nicht mehr aus für das wachsende Unternehmen […].“ (48) Auf dem Familiengrundstück in Aidenried wurde daher eine neue Werkstatt errichtet – teilweise aus Bombenkisten gebaut.
Mit der wirtschaftlichen Erholung stieg die Nachfrage nach Dekorationsartikeln. „Die unverfänglichen und fröhlichen Tiere der Bastowerkstatt entsprachen offenbar dem Bedürfnis der Menschen dieser Zeit.“ (49) So konnte eine größere Werkstatt erbaut werden, und es folgten weitere Messeauftritte, nach der deutschen Teilung in Frankfurt am Main, zu denen die gesamte Familie anreiste. Aufträge wurden von dort direkt an die Mitarbeiterinnen weitergeleitet. In den 1950er Jahren arbeiteten etwa 50 Frauen in der Bastowerkstatt, Briefe belegen einen freundschaftlichen Kontakt mit vielen von ihnen. Teils waren sie spezialisiert auf einzelne Arbeitsschritte oder Tierarten. Die Endkontrolle jedoch lag stets bei Else Stadler-Jacobs selbst. Die Autoren beschreiben die Abläufe von Herstellung, Lagerung und Versand detailliert – unter Zuhilfenahme von Entwurfsskizzen der Bastowerkstatt. Besonders hervorgehoben wird das Organisationstalent der Kunsthandwerkerin: „Die Herstellung von mehreren hundert Tieren innerhalb weniger Tage war nicht nur ein logistischer Kraftaufwand, sondern auch ein körperlicher.“ (58) Der Erfolg der Bastowerkstatt sicherte inzwischen nicht nur den Lebensunterhalt der Familie, sondern unterstützte auch die Gärtnerei ihres Mannes.
Mit fortschreitendem Alter entschied sich Else Stadler-Jacobs, ihre Werkstatt abzugeben. Eine familiäre Nachfolge zeichnete sich jedoch nicht ab, und auch die geplante Übergabe an eine Mitarbeiterin scheiterte. Selbst eine Zeitungsanzeige blieb erfolglos: „Ihre jahrelange Erfahrung, ihre kunsthandwerkliche Ausbildung und ihr hoher Qualitätsanspruch konnten nur schwerlich ersetzt werden.“ (61) So reduzierte sie den Betrieb schrittweise. Nach dem Tod ihres Ehemanns, der für sie ein „wesentlicher Motor“ (63) ihrer Arbeit war, stellte sie die Tätigkeit zum 1. Januar 1970 ein. Einzelne Aufträge wurden noch ausgeführt, einige Basttiere verkauft. „Die übrig gebliebenen Basttiere wanderten schlussendlich, sauber in Kartons verpackt, auf den Dachboden ihres Elternhauses in Pasing – ein Schatz aus vergangener Zeit“ (ebd.). Else Stadler-Jacobs verstarb 1997 im Alter von 98 Jahren; ihre Tiere aus Bast blieben als „Familienerinnerung“ (ebd.) erhalten.
Christoph Sauter und Daniel Karrasch gelingt es, die Biografie der lange vergessenen Kunstgewerblerin Else Stadler-Jacobs lebendig nachzuerzählen und anschaulich mit dem Zeitgeschehen des 20. Jahrhunderts zu verknüpfen. Zahlreiche Ego-Dokumente, Archivquellen und Gespräche mit Angehörigen verleihen der Darstellung Authentizität. Die herangezogenen Dokumente sind im Anhang des Bandes systematisch verzeichnet und ermöglichen eine transparente Nachvollziehbarkeit der Quellenbasis. Besonders hervorzuheben ist die gelungene Verbindung von wissenschaftlicher Fundierung und gut lesbarem Stil, der auch Lesenden ohne kunsthistorischen Hintergrund den Zugang ermöglicht. Die sich an den biografischen Teil anschließende Fotodokumentation, ergänzt durch Abbildungen von Werbeplakaten, Tierentwürfen und Werkmaterialien, ermöglicht zudem vertiefte Einblicke in den Herstellungsprozess und die Machart der Basttiere.
Die Wiederentdeckung von Else Stadler-Jacobs’ Leben und Werk ist sehr erfreulich, denn weibliche Beiträge zur Kunstproduktion wurden über lange Zeit hinweg marginalisiert und vergessen. Die Vernachlässigung weiblicher Nachlässe in der Vergangenheit erschwert bis heute die historisch-archivalische Forschung zu diesen. Umso begrüßenswerter ist es, dass Else Stadler-Jacobs und ihre Werkstatt nun durch Ausstellungen und den Katalog gewürdigt werden, bevor die Basttiere zur langfristigen Erhaltung in Museen archiviert werden. Ein empfehlenswertes Buch – als kunstgewerbliche Spurensuche und anerkennende Erinnerung an eine erfolgreiche Kunsthandwerkerin.