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Aktuelle Rezensionen


Philipp Schorch/Daniel Habit (Hg.)

Curating (Post-)Socialist Environments

(Ethnographische Perspektiven auf das östliche Europa 7), Bielefeld 2021, transcript, 344 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-5590-2


Rezensiert von Juliane Tomann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.10.2025

Kuratieren ist längt nicht mehr nur ein museales Kernthema. Als Teil eines Lifestyles und als soziale Praxis hat es Einzug gehalten in den Alltag der Menschen, die ihre Garderobe genauso kuratieren wie ihre Spotify-Playlisten – um nur zwei Beispiele zu nennen.1 Parallel dazu denken Kulturanthropologinnen und Kulturanthropologen und andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über das analytische beziehungsweise erkenntnisleitende Potential des Konzeptes Kuratieren nach, wenn es auf Phänomene außerhalb des musealen Kontexts angewandt wird.2 Auch Philipp Schorch und Daniel Habit spüren dieser Tendenz in ihrem Sammelband nach. Das Buch ist aus dem gleichnamigen kollaborativen, internationalen Forschungsprojekt hervorgegangen und die Aufsätze sind auf deutsch und englisch verfasst. Interdisziplinär angelegt, versammelt es Beiträge aus den Bereichen Anthropologie, Kunstgeschichte und Geschichte, die von Akademikerinnen und Akademikern, Museumsfachleuten sowie Studierenden verfasst wurden.

In der programmatischen Einleitung erläutert Philipp Schorch sowohl den konzeptionellen Zuschnitt des Kuratierens als auch den geografischen Fokus der Fallstudien aus (post)sozialistischen Ländern. Er verdeutlicht, dass der Begriff des Kuratierens im Zusammenhang der versammelten Aufsätze in zweifacher Hinsicht verwendet wird – als Praxis beziehungsweise Methode und als analytisch-konzeptionelle Linse zur Betrachtung bestimmter Phänomene (23). Das Konzept des Kuratierens helfe, so der Autor, Aufmerksamkeit für den Umgang mit materiellen und räumlichen Dimensionen und somit der gebauten Umwelt zu evozieren. Der Begriff Umwelt wird weit verstanden und schließt neben „material things“ auch „exhibitionary configurations, collections, households, architectural monuments and urban landscapes“ (12) ein, die alle als „curated environments“ verstanden werden. Das Kuratieren, so der Autor weiter, sei ein Prozess des Auswählens, Konfigurierens und Orchestrierens dieser Materialitäten. Im Umkehrschluss verspreche dessen Analyse Einblicke in das Zustandekommen der „curated condition of built environment“ (22). Daher erlaube die analytische Linse des Kuratierens tiefere Einblicke in das Beziehungsgeflecht von gebauter Umwelt, (post)sozialistischer Ideologie und der Herausbildung von Identitäten und Erinnerungen (23).

Schorch veranschaulicht den regionalen Fokus des Analyseansatzes auf (post)sozialistische Länder anhand der Leipziger Universität, die er als kuratierten (post)sozialistischen Erinnerungsort interpretiert. Am Beispiel der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli im Jahr 1968 sowie der vielschichtigen Debatten über den Umgang mit diesem Ort nach 1989 bis hin zur Neubebauung im Jahr 2017 zeigt er, dass eine materielle Perspektive den häufig diskursiv oder ideologisch gefassten Begriffen Sozialismus und Post-Sozialismus eine greifbarere Dimension verleiht. Die fortdauernde Präsenz materieller Hinterlassenschaften der DDR-Vergangenheit in der Gegenwart nutzt Schorch zudem, um den etymologischen Ursprung des Kuratierens im lateinischen curare zu reflektieren und eine Verbindung zwischen (ungeheilten) historischen Wunden und kuratorischen Interventionen herzustellen.

Die im Buch versammelten Aufsätze beschäftigen sich überwiegend mit Beispielen aus Ostdeutschland (Leipzig, Dresden) und werden durch ostmittel- und südosteuropäische Perspektiven ergänzt (Tschechien, Polen, Bulgarien, Rumänien). Die Herausgeber haben mit der Auswahl der Fallbeispiele einerseits einen transregionalen Vergleich im Sinn. Durch den Fokus auf die Diversität urbaner Landschaften wollen sie andererseits eine Pluralisierung oft vereinheitlichter Zuschreibungen des „Ostblocks“ erreichen (21).

Das Buch gliedert sich in drei Teile: „Urbanities“, „Museologies“ und „Materials, Visuals, Performances“. Den Auftakt des ersten Teils bildet Daniel Habits Untersuchung zur rumänischen Hauptstadt Bukarest. Er analysiert verschiedene Formen der Aushandlung von Vergangenheit im urbanen Raum und rückt insbesondere die vielfältigen Strategien des „urbanen Kuratierens“ (31–32) in den Fokus. Dabei beleuchtet er die Rolle zivilgesellschaftlicher Initiativen, die aktiv zur Reflexion historischer Narrative beitragen. Nikolai Vukov untersucht in seinem Beitrag über Bulgarien die kontroversen Debatten um sozialistische Monumente und Denkmäler, die nach 1989 zu zentralen Schauplätzen politischer Auseinandersetzungen über das Erbe des Sozialismus wurden. April Eismans Beitrag führt die Leserinnen und Leser zurück nach Leipzig. Sie argumentiert, dass viele bauliche Hinterlassenschaften der sozialistischen Ära nach 1989 dem Stadtumbau weichen mussten, der zunehmend auf Konsum und Kultur ausgerichtet wurde. Besonders die Neugestaltung des Augustusplatzes deutet sie als Beispiel eines neoliberalen „Re-Kuratierens“, das darauf abziele, die sozialistische Vergangenheit in einem negativen Licht darzustellen (93).

Auch Silke Wagler setzt sich mit den Transformationsprozessen sozialistischer Bauten auseinander. Am Beispiel des Wandbildes „Der Weg der roten Fahne“ am Dresdner Kulturpalast reflektiert sie über die Bedeutung von Herrschaftssymbolen der sozialistischen Bau- und Monumentalkunst in der heutigen Erinnerungskultur. Daran anknüpfend analysiert Martin Roggenbuck die vielfältigen Strategien der Inwertsetzung und Rekontextualisierung sozialistischer Kunst am Bau.

Die Sektion „Museologies“ wird eröffnet von zwei Beiträgen zum Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig. Frank Usbeck thematisiert die in der DDR weit verbreiteten Hobby-Indianistik-Gruppen, setzt sie in den Kontext einer „experimental ethnology“ und beschreibt ihre Beziehungen zum Leipziger Museum. Stefanie Bach beschäftigt sich mit den Ausstellungsdisplays zum afrikanischen Kontinent und den sich wandelnden Afrika-Bildern, die in der Zeit von 1949 bis 1989 im Völkerkunde-Museum vermittelt wurden. Anschließend beschreibt Beáta Hock die Intensität und Verwobenheit internationaler Beziehungen im Bereich der Kunst(ausstellungen) über die Blockgrenzen des Kalten Krieges hinweg. Abschließend stellt Carsten Saeger das Kuratieren als künstlerisch-performative Praxis in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Der Text basiert auf ausschnittartigen Reflexionen von Proben und den performativen Wiederaufführungen von Paul Dessaus Werk „Requiem für Lumumba“, das 1964 in Leipzig in Erinnerung an den ermordeten kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba uraufgeführt wurde.

Der letzte Teil des Buches, überschrieben mit „Materials, Visuals, Performances“ versammelt Beiträge mit sehr unterschiedlichen Zuschnitten. Eröffnet wird er von Simone Jansens, die sich mit dem Kuratieren von Orientteppichen in den 1980er Jahren als „Nische privater Lebenswelten“ im Alltag der späten DDR beschäftigt. Anhand der Gruppe „Dresdner Teppichfreunde“ beschreibt sie die eigensinnigen Praktiken einer kleinen Gruppe von Teppich-Enthusiasten, in deren Zentrum das aufwändige Beschaffen, Reparieren, Sammeln und Tauschen alter Teppiche stand. Unter dem Motto „Orient im Plattenbau“ gibt Jansen ferner Einblicke in das Kuratieren sozialistischer Wohn- und Lebenswelten mit Teppichen, die dank ihrer Haptik und Farbintensität dabei geholfen hätten, ein Gegenbild zum Leben in der DDR zu entwerfen.

Eine andere Art des Kuratierens steht im Zentrum des Beitrages von Anna-Lisa Reith, die sich mit der Reproduktion und Weiterentwicklung von Afrika-Karten am Institut für Ethnologie an der Universität Leipzig während des Bestehens der DDR beschäftigt. Diese „Wissenskuration“ (263) bezieht die Autorin unter anderem auf die Neu- oder Umgestaltung der Karten, die ursprünglich aus kolonialen Kontexten stammten, sowie das Einschreiben sozialistischer ideologischer Prämissen.

Agnieszka Balcerzak nimmt die Leserinnen und Leser anschließend mit ins benachbarte Polen. Die Kontroverse um die „verstoßenen Soldaten“ – anti-kommunistische Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, die durch rechte Gruppierungen, aber auch staatliche Institutionen vereinnahmt werden – dient ihr dazu, ein spezifisches Segment der Erinnerungskultur nach 1989 durch die Linse des Kuratierens zu analysieren. Sie verfolgt die Entstehung des Mythos der „verstoßenen Soldaten“ und der damit verbundenen polarisierenden Symbolpolitik und Rhetorik quer durch populärkulturelle Medien, Gedenkmärsche sowie im musealen Kontext. Auch Marketa Spiritova beschäftigt sich mit dem Thema Erinnerungskultur und beschließt den Band mit einem Beitrag zu Tschechien. Mit dem Fokus auf die Akteurinnen- und Akteurenperspektive zivilgesellschaftlicher Gruppen und flankiert von Konzepten wie „doing memory“ (310) oder „cultural performances“ in urbanen Räumen analysiert Spiritova zwei kuratierte Interventionen in Prag, die als alternative Gedenkveranstaltungen an die Ereignisse von 1989 erinnern. Im Nachwort reflektiert H. Glenn Penny die Grundaussagen einiger Beiträgerinnen und Beiträger und bezieht sie auf Aspekte des Begriffs Kuratieren, was weiterführende (Forschungs)fragen aufwirft.

Die thematische und geografische Vielfalt der Beiträge ermöglicht facettenreiche und interessante Einblicke in den Umgang mit Vergangenheit sowie die Praktiken ihrer (Um-)Deutung in (post-)sozialistischen Staaten. Gleichzeitig erschwert die Vielfalt der Untersuchungsgegenstände, das in der Einleitung skizzierte innovative und analytische Potenzial des Kuratierens in allen Beiträgen gleichermaßen zu erkennen. Bei einigen Beiträgen bleibt der Eindruck, dass das Kuratieren nicht der ursprüngliche Zuschnitt der Forschung war, sondern im Nachhinein als Folie über das Material gelegt wurde. Das interdisziplinäre und kollaborative Austesten des Mehrwerts von Kuratieren als analytischem Zugang auf neue Kontexte bleibt dennoch ein zentraler Verdienst dieses Bandes.

 

Anmerkungen

 

1 „‚[C]urating‘ has been adopted by all sorts of fields to describe any process that involves making a selection of something. DJs curate the music lineup at a party, cooks curate the menu at a restaurant, decorators curate the living rooms of clients, and so on. “ Jens Hoffmann u. Maria Lind: To Show or Not to Show. In: Mousse, 1. Dezember 2011, https://www.moussemagazine.it/magazine/jens-hoffmann-maria-lind-2011/ [23.04.2025].

2  Bischoff, Christine : Kennen und Bekennen. Konversion als Kuratieren des religiösen Selbst. In: Michael Roth, Barbara Thums u. Mirko Uhlig (Hg.): Sakralisierung des Selbst. Praktiken und Traditionen der Subjektivierung. Leipzig 2021, S. 77–90; Stefan Krankenhagen: Geschichte kuratieren. In: ders. u. Viola Vahrson (Hg.): Geschichte kuratieren: Kultur- und kunstwissenschaftliche An-Ordnungen der Vergangenheit. Köln, Weimar, Wien 2017, S. 9–14.