Aktuelle Rezensionen
Bernadette Gebhardt (Hg.)
„Bilder der Heimat“. Fotografie und Kunst in Heimatzeitschriften
(Schriftenreihe des Instituts für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa 25), Münster 2022, Waxmann, 255 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8309-4569-7
Rezensiert von Ulrich Hägele
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.10.2025
Die neun Beiträge des Sammelbands „Bilder der Heimat“, herausgegeben von Bernadette Gebhardt, sind im Rahmen eines Projekts entstanden, das die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) mitfinanziert hat. Es ging um die Rolle von Fotografie und Kunst in Vertriebenenzeitschriften. „Zu einem Schwerpunkt [...] wurden Beiträge rund um die Thematik von Brüchen und Kontinuitäten in der Visuellen Gestaltung.“ (9) Sodann standen Verbindungslinien von historischen Bildern sowie deren Verwendung in den einschlägigen Zeitschriften im Zentrum. Einen dritten Aspekt umschreiben jene Fotografien, die nach 1945 eher modernere Bildmomente festgehalten haben.
Michael Hirschfeld untersucht in seinem sehr fundierten Aufsatz Heimatkalender der Grafschaft Glatz, heute in Polen. Eine erste Reihe der Kalender erschien bereits 1877. Nach einigen Ausgaben verschwanden sie wieder vom Markt. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg rief ein Lehrer den „Glatzer Volkskalender“ ins Leben, der außer folkloristischen Illustrationen auch Gedichte, Prosa und Texte in Mundart umfasste. Der „Glatzer Volkskalender“ ist bis 1943 nachweisbar, ab 1949 erschien er in anderer Form als Vertriebenenzeitung. Die Gestaltung und Typografie der Titelseiten wechselte im Laufe der Zeit von Zitaten des Jugendstils (1911) bis hin zur im Nationalsozialismus gängigen Groteskschrift „Tannenberg“ (1941). Die zumeist gezeichneten, gemalten oder als Holzschnitt realisierten Titelbilder zeigen eine dörfliche Idylle. Im Vordergrund liest die Mutter Zeitung, das Kind spielt, während der Vater gerade mit der geschulterten Sense vom Feld heimkehrt. Die Bildauswahl orientierte sich an Sommer, Herbst und Winter – „stets einem Jahresmotto untergeordnet“ (17): Schlösser, Naturdenkmale, Mühlen, Schmetterlinge, Wallfahrtskirchen, Aussichtstürme oder Portraits. Ebenso häufig kamen religiöse Bildmotive vor, „wenn die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf die reiche sakrale Kunstlandschaft der Grafschaft gelenkt wurde“ (23). Die Tagespolitik blieb zumindest in den 1920er Jahren tabu – seit 1933 änderte sich die Sprache im Rahmen der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie. Propagandafotos hielten Einzug, was sich während des Krieges noch verstärken sollte. Nach 1945 dienten die Kalender zur „Bewältigung des Heimatverlusts“ – die Nazi-Inhalte von vor 1945 seien später redaktionell nicht weiter hinterfragt worden.
Bernadette Gebhardt analysiert in ihrer historisch angelegten, sehr kenntnisreich geschriebenen Fallstudie die Zeitschrift „Altvater“ hinsichtlich ihrer Gestaltungsmerkmale. „Altvater“ erschien seit 1949 im oberfränkischen Kulmbach, und war die Fortführung der unter demselben Namen im ursprünglichen Siedlungsgebiet der Sudetendeutschen von 1884 bis 1943 publizierten Zeitschrift. Die Untersuchung erfolgt anhand der Prämissen: „Thematisierung und visuelle Darstellung von Kunst und Künstlern und der Verwendung der Titelvignette“ (43). Ins Auge fielen insbesondere konservative Kontinuitäten in der Gestaltung: Der sogenannte Altvaterturm auf dem Cover von 1957 ist praktisch identisch mit dem von 1931. Lange Zeit für die Grafik verantwortlich: Richard Assmann (1887–1965), der nach 1945 ins hessische Fürstenhagen umgesiedelt und dort als Kunstmaler für Genremotive tätig war. In den frühen Dreißigerjahren hatte er in seinem Atelier auch Werbung im Stil der Neuen Sachlichkeit im Programm. In der Troppauer „Heimat-Chronik“ bekam der Illustrator dann seit 1952 ein neues Betätigungsfeld als „Heimatkünstler“ (67).
Über die Holzschnitte von Adam Kraft (1898–1976) schreibt Jiří Riezner. Der Verleger, Grafiker und Maler stammte aus dem Egerland, heute Tschechien. In der Zwischenkriegszeit hatte Kraft eine Edition aufgebaut, die er nach der Sudetenkrise 1938 an den Verlag der Deutschen Arbeitsfront übergab, aber weiterhin für die Buchproduktion verantwortlich blieb. Nach dem Krieg gründete Kraft in Augsburg seinen Verlag neu – er hatte dafür aus der öffentlichen Hand einen Kredit erhalten. Für Heimatzeitungen wie „Der Egerländer“ und Künstlerkalender der Vertriebenenverbände steuerte er häufig expressiv-realistische Holzschnitte bei – nachweisbar seit 1920 sind 43 Motive. Vorwiegend zeigen sie ländliche Architekturen, Kirchen und Heiligenstatuen. Riezner schlüsselt anhand einer quantitativen Analyse die Bildmotive und deren Reproduktion sowie den inhaltlich-geografischen Bezug auf. Krafts Holzschnitte könne man als „visuelle Erinnerungsorte der Sudentendeutschen“ (94) bezeichnen. Sie illustrieren einschlägige Veröffentlichungen bis in die Gegenwart.
Bis in die Frühzeit der Fotogeschichte taucht Pavel Scheufler ein. Einer der Hauptprotagonisten im schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts mancherorts touristisch geprägten Böhmen war Carl Pietzner (1853–1927) aus Teplitz. Er hatte mehrere Hundert Mitarbeiter und zählt zu den erfolgreichsten Lichtbildnern auf dem europäischen Kontinent. Nach der Erfindung der Daguerreotypie (1839) gab es rasch eine größere Zahl an Neugründungen fotografischer Ateliers, wie etwa auf dem Prager Rossmarkt (1841) durch Wilhelm Horn (1809–1891). In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich die Fotografie analog zu den anderen Ländern in Europa vom Salzpapier über das nasse Kollodiumverfahren und der Stereofotografie hin zur Massenware von Carte-de-Visite und Cabinet auf Albumin-Basis. Begünstigt wurde die Entwicklung nicht zuletzt auch von den Weltausstellungen. Die Lichtbildner hielten zudem die technische Entwicklung Böhmens wie etwa den Bau von Eisenbahnbrücken, Tunnels und anderen Bauwerken der Industrie fest. Scheufler schreibt in seinem glänzend recherchierten Beitrag, bis 1914 seien die meisten Ateliers von Fotografen aus dem deutschsprachigen Raum gegründet worden. Zu Tage treten dabei „sehr deutlich sowohl die Verbindungen als auch die Unterschiede zwischen Deutschen und Deutschböhmen“ (127).
Den Amateurfotografen und Fotopionier Rudolf Jenatschke (1879–1947) portraitiert Petr Karlíček – eine geradezu sensationelle Entdeckung: Jenatschke, von Hause aus Priester und Religionslehrer, kann als der Begründer der sozialdokumentarischen Fotografie in Nordböhmen bezeichnet werden. Seine Fotografien erschienen nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Zeitschrift „Aussiger Bote“. In unterschiedlichen Archiven überliefert sind mehrere Tausend Abzüge, Glas- und Planfilmnegative sowie Diapositive aus der Zeit von 1904 bis 1945. Jenatschke gehörte seit 1909 zum „Klub der Amateur-Photographen“ in Aussig an der Elbe. Er fotografierte Landschaften, das handwerkliche und bäuerliche Leben auf dem Land, städtische Alltagszenen und immer wieder Portraits. Ebenso überliefert sind Fotografien von mehreren Reisen Jenatschkes nach Italien (1922–1923). Eine seiner letzten Bilderserien zeigen die Verwüstungen in seiner Heimatstadt Aussig nach einem Bombenangriff 1945.
An ein aus heutiger Sicht medienkritisch zu betrachtendes Ereignis erinnert Elisabeth Fendl in ihrem ausgezeichneten Beitrag. Die Hamburger Illustrierte „stern“ hatte 1955 die Reise zweier Journalisten mit einem VW-Käfer nach Böhmen organisiert – man postulierte, dass seit Kriegsende keine Reporterinnen und Reporter mehr dort gewesen seien. Die Fotostrecke der dreiteiligen Artikelfolge umfasste 38 Schwarzweißfotografien. Der Text stammt vom „stern“-Urgestein Günther Dahl, die Bilder von Eberhard Seeliger, der bereits beim „stern“-Vorläufer „Zick-Zack“ gearbeitet hatte. Von der Reportageserie wiederum gelangten Abbildungen und Texte in sieben Vertriebenenzeitschriften. Manche der schriftlichen Passagen sind für „stern“-Autor Dahl wenig schmeichelhaft: Er zieht nicht selten die Aussagen seiner Interviewpartnerinnen und -partner ins Lächerliche, um die vermeintliche Überlegenheit des Westens gegenüber dem Osten herauszustellen. Auch spielte Dahl die Verantwortung der Deutschen am Zweiten Weltkrieg herunter – gängige Praxis westlicher Medien in Zeiten des Kalten Krieges. Die Illustrationen zeigen häufig verfallene Häuser wie etwa in dem Städtchen Eger. In der Heimatpresse werden die Bilder sodann mit zynischen Bildunterschriften versehen: „In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen.“ (167). „Tot, leer, von Unkraut überwuchert – das waren die Adjektive, die aus der Reportage übernommen und immer wieder verwendet wurden“, kommentiert Fendl (166). Mit dem Motiv der Verwahrlosung schufen die Berichte ein negativ konnotiertes Stereotyp für Tschechien, das schließlich bis in die jüngere Vergangenheit wirksam bleiben sollte.
Die Visualisierung von Heimat in der Vertriebenenpresse beschreibt Sandra Kreisslová in ihrem lesenswerten Aufsatz. Als Quellen dienen ihr Bilder, die auf Heimatreisen entstanden sind und hernach in der „Karlsbader Zeitung“ sowie in dem „Karlsbader Badeblatt“ veröffentlicht wurden. Der Antrieb erfolgte, so eine These, um die „Zerstörung und den Zerfall der ‚alten Heimat‘“(187) zur Schau zu stellen. Kreisslová zeichnet eindrucksvoll anhand von Bildern und Bildunterschriften die „mediale Konstruktion“ der Vertriebenenheimat und kommt zu dem Schluss: „Bis 1989 überwogen negative Bilder der ‚alten Heimat‘, und wenn die Reisefotografien in einigen Fällen auch nichts explizit Negatives zeigten, wurden sie dennoch in diesem Sinne interpretiert.“ Diese Deformation sei insofern deutbar, als die alten Heimatregionen offensichtlich „zu Sehnsuchtsorten geworden waren“ (208).
In seinem lesenswerten Text konzentriert sich Hans-Werner Retterath auf ein Fallbeispiel – das ehemals sudetendeutsche Wallfahrtsziel Heidebrünnel am Rotenberg im tschechischen Altvatergebirge und dessen Rezeption in der Zeitschrift „Altvater“ in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ansiedlung selbst bestand lediglich aus drei Gebäuden: Kapelle, Gasthütte und Brunnenstube. Die Kapelle war 1946 abgebrannt und danach nicht mehr aufgebaut worden und auch das baufällige Gasthaus wurde später abgerissen. 1992 und 2004 entstanden dann an dem ursprünglichen Ort zwei neue Kapellen. Vom ursprünglichen Ensemble präsentiert der Autor sechs Abbildungen: zwei Fotografien von 1927 sowie eine vom Gasthof von 1965, eine Kohlezeichnung sowie jeweils eine Fotografie der Brunnenstube und des Kreuzes mit Marienbildnis. Sein Fazit: „In den zeitgenössischen Abbildungen und ihrer Positionierung schlagen sich nicht zuletzt die unterschiedlichen Zeitereignisse nieder. Die Vertreibung und die Verbitterung darüber wurden mit einer Mystifizierung und Verklärung der alten Heimat beantwortet.“ (236) Im abschließenden Beitrag zieht Herausgeberin Bernadette Gebhardt ein Resümee in Sachen „Online-Handbuch Heimatpresse“ im Rahmen eines Projekts am Institut für Volkskunde der Deutschen des Östlichen Europa (IVDE) in Freiburg im Breisgau – Informationen, Texte und Bilder dazu sind inzwischen auf dessen Homepage abrufbar.
Der Sammelband „Bilder der Heimat“ ist ein wichtiger Beitrag zur Rezeption und Analyse der Vertriebenenpresse des früheren Sudetenlands. Die Medienerzeugnisse hatten während des Kalten Krieges über Jahrzehnte hinweg aus unterschiedlichem Antrieb politische, moralische und soziale Ressentiments gegenüber der Tschechoslowakei geschürt. Dabei sind meistens die Gründe für die Vertreibung – der Hitlerfaschismus und der am Ende glücklicherweise verloren gegangene Angriffskrieg in den Hintergrund getreten, ja nicht selten revanchistisch verklärt worden – ein Aspekt, der das Verhältnis zwischen Deutschland und Tschechien bis heute prägt.