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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Bernhard Graf

Kurfürst Carl Theodor von Pfalz-Bayern. Musiker, Mäzen und Reformer

Regensburg 2024, Friedrich Pustet, 288 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Charlotte Glück
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 24.11.2025

Bernhard Graf, promovierter Historiker, Kunsthistoriker, Autor von Büchern und Drehbüchern, Regisseur und Ausstellungskurator, gelingt es wieder einmal, Geschichte und Kultur anschaulich an ein größeres Publikum zu vermitteln. Wie schon öfter nimmt er einen Wittelsbacher ins Visier, allerdings einen, der in Bayern bisher kaum Anerkennung fand. Wohl zum ersten Mal rückt ein geborener Bayer das Bild von Kurfürst Carl Theodor (1724-1799) anlässlich seines 300. Geburtstages ins verdiente rechte Licht.

Der eindrücklichste Beweis dafür, wie sehr Carl Theodor mit den Bayern, insbesondere den Münchnern, auf Kriegsfuß stand, erlebt der Tourist noch heute beim Rundgang durch die bayerische Hauptstadt. Sie oder er wandert über den „Stachus“ und nimmt wahrscheinlich gar nicht wahr, dass dies offiziell der von Carl Theodor angelegte „Karlsplatz“ ist. Der Kurfürst von der Pfalz, der nach der wittelsbachischen Erbregelung in Kurbayern 1777/78 die Regierung antrat und beide Fürstentümer zu „Churpfalz-Baiern“ vereinigte, war so verhasst, dass seine Untertanen ihm nicht die Ehre eines nach ihm benannten Platzes geben wollten – auch wenn er ihn bezahlt hatte. Es ist schon erstaunlich, dass derselbe Herrscher in seinen zwei Kurfürstentümern so unterschiedlich wahrgenommen wurde. In der Kurpfalz würdigte man ihn schon zu Lebzeiten als Aufklärer, Mäzen und Reformer. In Kurbayern dagegen verzieh man ihm vor allem anderen nicht, dass er das Angebot der Habsburger annahm und Bayern, das Stammland der Wittelsbacher, gegen die österreichische Niederlande (das heutige Belgien) eintauschen wollte. Dem weitsichtigen pfalz-zweibrückischen Diplomaten Johann Christian von Hofenfels ist es zu verdanken, dass dieses Tauschprojekt nicht zustande kam, das Mächtegleichgewicht in Europa gewahrt blieb und deshalb letztendlich Bayern heute noch immer zu Deutschland gehört.

Dass neben Herzog Franz von Bayern, dem Chef des Hauses Wittelsbach, auch Mag. Thomas Stelzer, der Landeshauptmann von Oberösterreich, ein Geleitwort zur reich bebilderten Biografie beiträgt, hängt damit zusammen, dass im Frieden von Teschen 1779 Carl Theodor zwar als nächstverwandter männlicher Wittelsbacher seine Anwartschaft auf den nach dem Tod von Kurfürst Maximilian III. Joseph (1727-1777) verwaisten bayerischen Kurfürstensessel durchsetzen konnte, er aber dafür „Innbaiern“ an die Habsburger abgeben musste. Es wurde zum „Innviertel“, einer Keimzelle von Oberösterreich.

Bernhard Graf, ein ausgezeichneter Kenner der Materie, hat sich seit 1999 immer wieder in Büchern und Dokumentarfilmen mit Carl Theodor und seiner Zeit beschäftigt. Entsprechend anschaulich schildert er dessen tragische Kindheit als Vollwaise in Brüssel und den unerwarteten Aufstieg eines Prinzen aus der unbedeutenden wittelsbachischen Nebenlinie Pfalz-Sulzbach zum „Herrn der Sieben Länder“, was Friedrich den Großen zu dem Urteil verleitet hat, Carl Theodor sei ein „fauler Kerl und Glücksschwein, das mehr Länder ererbt, als er selbst erobert“ hat. Diesem „Glücksschwein“ hat übrigens der Bildhauer Peter Lenk 2016 in Schwetzingen ein humorvolles Denkmal gesetzt.

Graf schildert ausführlich und anschaulich die Musenhöfe von Mannheim und Schwetzingen, Carl Theodors Mäzenatentum sowie sein wissenschaftliches Interesse. Angesichts dieses Themenschwerpunktes hat der Pustet-Verlag das Motiv auf dem Schutzumschlag treffend gewählt. Das Gemälde, auf dem Hofmaler Johann Georg Ziesenis 1757 Carl Theodor ganz privat im Schlafrock inmitten seiner Liebhabereien zeigt, verdeutlicht wie kein anderes dessen Liebe zu Kunst, Musik, Kultur und Wissenschaften. Das Hofleben im Jahreskreis des Katholizismus wird farbig geschildert, das Privatleben, die beiden standeswürdigen, aber auch schlechten Ehen des Kurfürsten, insbesondere auch sein Maitressenwesen, nicht ausgelassen.

Ausführlich widmet sich der Kunsthistoriker Graf zudem der Architekturgeschichte der Schlösser Oggersheim, Schwetzingen und Benrath und verdeutlicht die Offenheit Carl Theodors für neue Zeitströmungen.

Ebenso wie Carl Theodors Leben teilt sich die Grafʼsche Biografie in zwei Teile: Das glückliche Leben in der Pfalz und das von Anfeindungen geprägte Leben nach dem Regierungsantritt in München. Ein Zitat überliefert, dass Carl Theodor selbst seine guten Zeiten in der Silvesternacht 1777, als ihn die Nachricht vom Tod Max III. Josephs erreichte, für vorüber hielt.

Deutlich wird, wie undankbar die bayerischen Untertanen gegenüber Carl Theodor waren. Er öffnete seine Gärten und Sammlungen, schenkte den Münchnern mit dem Englischen Garten den ersten Volkspark im Reich und wirtschaftete hervorragend angesichts der immensen Schulden, die sein Vorgänger hinterlassen hatte. Carl Theodor hatte mit Bayern ein Land geerbt, das wirtschaftlich sehr viel schwächer war als seine Herrschaftsgebiete im Rheinland. Im Geiste der Aufklärung versuchte Carl Theodor den Wohlstand seiner Untertanen zu heben. Er förderte Landwirtschaft und Gewerbe, modernisierte die Verwaltung und bekämpfte das Bettlerwesen.

Die verdienstvolle Biografie weist leider einige kleinere Schwächen auf. Hin und wieder meint der Autor zu wissen, was Carl Theodor oder seine beiden Ehefrauen gedacht und gefühlt haben, auch wenn es dazu keine Quellen gibt. Vielleicht sorgte sich Carl Theodor ja doch manchmal um seine langjährige Ehefrau Elisabeth Auguste und nicht nur um ihre Juwelen. Zwar werden Carl Theodors politische Leitlinien Neutralität und Frieden deutlich, weniger aber die Hintergründe für sein jeweiliges Handeln. Was sind seine außenpolitischen Ziele, die durchkreuzt werden? Die europäische Politik im 18. Jahrhundert wird nicht besonders klar erläutert, die eine oder andere Landkarte zur Verdeutlichung der Bündnisse hätte dem Buch gutgetan.

An der einen oder anderen Stelle fehlt auch ein Blick in die moderne Forschungsliteratur. Die Illuminatenforschung spricht heute wohl nicht mehr von den „Machenschaften der Illuminaten“ wie Carl Eduard Vehse, ein Historiker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zugleich fehlt ein Hinweis auf die enormen Finanzmittel, die Carl Theodor durch das Medici-Erbe allein zur Förderung der Musik zur Verfügung standen, was sein persönliches Verdienst im Vergleich zu anderen Fürstenhöfen etwas relativiert.

Nichtsdestotrotz: Ein kurzweiliges, sehr empfehlenswertes Buch, aus dem man viel erfährt und das man gerne liest. Der Anhang des Buches enthält ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie eine Genealogie.