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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Frank Bajohr/Magnus Brechtken (Hg.)

Zeitzeugen, Zeitgenossen, Zeitgeschichte. Die frühe NS-Forschung am Institut für Zeitgeschichte

Göttingen 2024, Wallstein, 392 Seiten


Rezensiert von Paul Hoser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 24.11.2025

Der ein Vorwort und elf Beiträge umfassende Band setzt sich mit einzelnen Forschungsprojekten von der Anfangszeit bis in die siebziger Jahre auseinander und will keine Gesamtdarstellung des Instituts für den genannten Zeitraum erstellen, vor allem um den Verdacht des Eigenlobs auszuschließen.

Die Zukunft und Attraktivität des neuen Instituts schien anfangs ungewiss, so dass man kaum qualifizierte Mitarbeiter fand. Um fortschrittliche und innovativ denkende Persönlichkeiten der Emigration bemühte man sich offenbar wie in so vielen anderen Bereichen nicht; erst 1952 wurde wenigstens der allerdings sehr konservative Hans Rothfels Mitglied des Beirats. In den Anfängen bestand noch keine Verflechtung mit Universitäten. Erst allmählich setzte sich auch in den Arbeiten eine kritisch-analytische Grundtendenz durch.

Magnus Brechtken nimmt die Rolle des zweiten Generalsekretärs Hermann Mau und des ersten prominenten Historikers im Beirat des Instituts, Gerhard Ritter, ins Visier. Maus Vorgänger, Gerhard Kroll, war kein ausgewiesener Historiker, geriet bald mit Ritter und dem Beirat in Konflikt und gab im September 1950 auf. Mau war als Historiker reiner Mediävist. Er hatte sich noch 1944 an der Universität Jena habilitiert. Der Inhaber des Lehrstuhls für mittelalterliche Geschichte, der seine Umhabilitierung in München blockierte, hieß Johannes Spörl, nicht Gerhard Spoerl, wie es bei Brechtken trotz der richtigen Angabe in einem früheren Buch zum 50-jährigen Jubiläum des Instituts steht. Schon in der Weimarer Zeit war Ritters Haltung verfassungsfeindlich und nationalistisch gewesen. Auch Adolf Hitlers scheinbare außenpolitische Erfolge hatten ihn stark beeinflusst. Wegen seiner Kontakte zu Carl Goerdeler wurde er aber nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und kam zeitweise ins Konzentrationslager Ravensbrück. Schon im Dezember 1950 hielt ihm der damalige Chefredakteur des katholisch orientierten „Rheinischen Merkurs“, Otto B. Roegele, seine früheren Reden zugunsten Hitlers vor und urteilte, er sei ein „hoffnungsloser Nationalist“. Nicht dies erschütterte allerdings Ritters Stellung, sondern seine Entscheidung zugunsten einer Herausgabe der damals aufgetauchten Tischgespräche Hitlers durch das Institut. Er glaubte, damit mit einem Schlag auch in dem sich neu bildenden Fach der Zeitgeschichte eine führende Stellung gewinnen zu können. Die Tischgespräche erschienen bereits vorab mit einem einleitenden Beitrag Ritters in Auswahl in der Illustrierten „Quick“. Dies erregte das Missfallen der amerikanischen Besatzungsmacht, des Bundeskanzlers Konrad Adenauer und des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard. Dieser stellte sogar die weitere Beteiligung der bayerischen Staatsregierung an der Finanzierung des Instituts in Frage. Ritter hatte sich weder über die Authentizität der Quelle – originale Protokolle der Gespräche lagen nicht vor – Gedanken gemacht, noch eine ausführliche Kommentierung für notwendig gehalten. Brechtken schreibt dies seinem Machtbewusstsein und der Überzeugung von seiner eigenen Überlegenheit zu. Letztlich hatte er sich so isoliert, dass er zwar im Institutsbeirat bleiben konnte, sich aber freiwillig von den Sitzungen fernhielt. Auch die Berufung von Rothfels war wohl die Folge dieser Affäre. Brechtken zufolge begann erst danach die wissenschaftliche Grundphase des Instituts.

Aus Johannes Hürters Aufsatz geht hervor, dass die Wehrmacht des Dritten Reichs von Anfang an ein zentrales Untersuchungsthema sein sollte. Von SPD-Seite in Baden-Württemberg war der Generalleutnant Hans Speidel, der auch promovierter Historiker war, als Beiratsmitglied vorgeschlagen worden. Er war von den Nationalsozialisten wegen seiner Kontakte, die auf eine Nähe zum Attentat vom 20. Juli 1944 hindeuteten, verhaftet worden, hatte aber das Kriegsende ohne schwerste Verfolgung überlebt. Er bemühte sich im Beirat sofort um eine apologetische Geschichtsschreibung, für die führende Wehrmachtsangehörige herangezogen werden sollten. Er war es auch, der als Mitarbeiter den General der Infanterie a.D., Hermann Foertsch, vorschlug und durchsetzte. Foertsch hatte schon 1935 ein Loblied auf Hitler publiziert und sich noch 1945 mit Durchhaltegesinnung hervorgetan. Als erster Mitarbeiter erhielt er eine unbefristete Planstelle. Sein 1951 erschienenes Buch „Schuld und Verhängnis“ zur sogenannten „Blomberg-Frisch-Krise“, die Hitler ausnutzte, um weitgehende Kontrolle über die Wehrmacht zu erlangen, erschien wegen seiner Schönfärberei selbst Ritter als nicht ganz koscher. Foertsch schwebte vor, das Institut zu einem Zentrum für neueste Militärgeschichte zu machen. Er fühlte sich aber bald durch die Aufgabe überfordert und wechselte 1952 als Abteilungsleiter zur Organisation Gehlen, dem späteren Bundesnachrichtendienst, über. Der entscheidende Impuls zur Zerstörung der Lüge von der sauberen Wehrmacht kam viel später nicht vom Institut, sondern von anderer Seite.

Klaus Große Kracht geht den Zeitzeugenbefragungen des Instituts nach. Insgesamt interviewte man über 2600 Personen, neben Militärs vor allem Amtsträger von Staat und NSDAP sowie Angehörige von SA und SS. Einer der Hauptrechercheure, Georg Franz-Willing, neigte dazu, die Sicht der Nationalsozialisten zu übernehmen, war er doch im Innersten deren Grundüberzeugungen treu geblieben. Eine von ihm im Auftrag des Instituts verfasste Frühgeschichte des Nationalsozialismus ließ dies immer wieder durchscheinen, so dass er sie anderswo herausbringen musste. Verfolgte, Widerständler und Juden, die den Holocaust überlebt hatten, wurden in die Interviews nicht einbezogen.

Frank Bajohr stellt sich die Frage der Auseinandersetzung des Instituts mit dem Holocaust. Auch hier standen die Täterdokumente vor denen der Opfer im Vordergrund. Vor allem aber jagte man der Chimäre eines persönlichen, entscheidenden Befehls Hitlers zum Massenmord an den Juden nach, die schon in den Nürnberger Prozessen herumgeisterte. Heute gilt allgemein die Überzeugung, dass es keinen solchen Befehl gab. Anfangs hielt man nur SS-Einheiten für die Täter; erst der Ulmer Prozess von 1958 dokumentierte, dass ebenfalls die Wehrmacht beteiligt war. Auch dabei spukte der angebliche, aber letztlich nie nachweisbare Führerbefehl noch herum. Das Urteil unterschied zwischen Tätern und Gehilfen, als Folge wurden nur wenige, leicht erweisliche Täter in weiteren Prozessen verurteilt.

In Gaëlle Fishers Studie geht es um die Gutachtertätigkeit von Martin Broszat zur Judenverfolgung in Rumänien. Er war zu dem Schluss gekommen, dass der rumänische Antisemitismus zwar zur Judenverfolgung beigetragen hatte, entscheidend aber die deutsche Judenpolitik gegenüber dem Land gewesen sei. Ein Mangel seiner Abhandlung bestand darin, dass er keine rumänischen Quellen herangezogen hatte.

Andrea Löws und Katrin Steffens Aufsatz gilt einem Projekt zur Dokumentierung der Judenverfolgung, an dem das Institut beteiligt war. Neben ihm fungierten die Bundeszentrale für Heimatdienst und die Wiener Library in London als Träger. Sie wollten ein großes Dokumentationswerk schaffen. Die drei Träger hatten jedoch ganz unterschiedliche Vorstellungen: Wiener wollte auch die Kulturleistungen von Juden einbezogen wissen, was nicht in Helmut Krausnicks Konzeption passte, für die Bundeszentrale hatte grundsätzlich das antikommunistische Wirken Vorrang und sie ließ bald ihr Desinteresse erkennen. Wiener gab seinen Anteil dann an diese ab, die schließlich ihrerseits die Beteiligung einstellte. So war nach zehn Jahren außer Spesen nichts gewesen.

Verschiedene Standpunkte vertreten Benjamin Carter Hett und Lutz Kreller in ihrer Darstellung des Umgangs des Instituts mit der Frage des Reichstagsbrands. Grundsätzlich ging es in der Forschung um die Frage, ob es sich um die Tat eines Einzelnen handelte, die die Nationalsozialisten blitzschnell ausnutzen, um den Aufbau der Diktatur voranzutreiben oder ob sie von Anfang an der Tat beteiligt waren, mit der Absicht, sie zugunsten der Etablierung der Diktatur zu nutzen. Die These vom Einzeltäter propagierte 1962 ein Außenseiter, Fritz Tobias. Ein anderer Außenseiter, der Gymnasiallehrer Hans Schneider, hatte seinerseits ein Manuskript verfasst, das Tobias zu widerlegen suchte. Es gelangte auch zur Kenntnis der Kreise des Instituts und machte dort solchen Eindruck, dass man ihn mit einer genaueren Prüfung der Thesen von Tobias beauftragte. Nach Carter Hett hatte dieser als Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes Zugang zu den Unterlagen im amerikanisch kontrollierten Berlin Document Center, die damals für Forscher noch weitgehend gesperrt waren. Er konnte nachweisen, dass Krausnick bereits seit 12. Januar 1932 NSDAP-Mitglied gewesen war und wollte ihn Carter Hett zufolge erpressen, um das Institut zur Unterstützung seiner Thesen zu bringen. Da auch andere publizistische Angriffe auf Krausnick erfolgten und ständige Polemiken deshalb den Ruf des Instituts und sogar seine Existenz zu gefährden drohten, habe dieser aus der Schusslinie kommen wollen. In seinem Auftrag habe Hans Mommsen Schneider mitgeteilt, sein Manuskript komme für das Institut nicht in Frage.

Ganz anders sieht Lutz Kreller den Fall. Danach war Schneider mit der Aufgabe nicht zurechtgekommen und hatte 1962 nur ein disparates, unstrukturiertes Manuskript abliefern können. Krausnicks NSDAP-Mitgliedschaft sei nicht nur intern, sondern auch öffentlich längst bekannt gewesen und habe als Hebel für eine Erpressung nicht getaugt. Schneiders Manuskript habe er nicht aus Angst vor Tobias, sondern wegen der mangelnden Qualität nicht gewollt. Auch die beiden Herausgeber des besprochenen Bands halten dies gegen Carter Hett fest.

Außerhalb des eigentlichen Schwerpunkts des Instituts lag die von Thomas Breslauer behandelte Gutachtertätigkeit der Mitarbeiter Helmuth Auerbach und Günter Plum zu dem ukrainischen Nationalistenführers Stepan Bandera. Dessen Witwe hatte 1962 den Filmproduzenten Artur Brauner wegen eines Leserbriefs an die Münchner Abendzeitung verklagt, in der dieser an Verbrechen Banderas erinnert und ihn einen Mörder genannt hatte. Die Gutachten stützten sich auf Material der Gedenkstätte Yad Vashem und auf amerikanische Archive. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die nationalistische Organisation OUN, deren radikalen Flügel Bandera geleitet hatte, eine antisemitische, antidemokratische und völkische Organisation gewesen sei, die sich auf das städtische Bürgertum gestützt, in der ländlichen Bevölkerung aber keinen Rückhalt gehabt habe. Das Landgericht München I verlangte zwar keinen Widerruf von Brauner, verbot ihm aber eine Wiederholung seiner Vorwürfe. Die Tätigkeit Banderas ist immer noch historisch umstritten.

In die Vorbereitung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963–1965) waren sowohl Krausnick, Broszat als auch Hans Buchheim als Gutachter einbezogen. Der Beteiligung des Instituts widmet sich der als Historiker zu Auschwitz ausgewiesene Matthew Turner. Helmut Krausnick, der von 1959 bis 1972 das Institut leitete und vorher in dessen Auftrag Material für eine Studie zu den Einsatzgruppen gesammelt hatte, hielt weiter an der Konstruktion des Führerbefehls fest, die das Gericht ohne weiteres übernahm. Letzten Endes waren die Gutachten im Prozess aber nicht von zentraler Bedeutung.

Der letzte Beitrag stammt wiederum von einem langjährigen Mitarbeiter des Instituts, Thomas Schlemmer. Es geht darin um das 1971 initiierte Projekt „Widerstand und Verfolgung in Bayern“. Am Anfang stand der Wunsch der Arbeitsgemeinschaft der Verfolgten Bayerns nach einer Erforschung dieses Aspekts der Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft. Führend war dabei der bayerische Senator und DGB-Vorsitzende Ludwig Linsert, der selbst zu den Betroffenen gehörte. Ihm gelang es, den damaligen Kultusminister Hans Maier für ein solches Projekt zu gewinnen. Er besprach die Frage auch mit dem Generaldirektor der staatlichen Archive Bayerns, Bernhard Zittel. Linsert kontaktierte überdies das Institut für Zeitgeschichte. Dessen Leiter Broszat reagierte erst abwehrend. Er befürchtete durch diese zusätzliche Aufgabe die Gefahr einer Überlastung und war außerdem skeptisch, ob sich der Aufwand einer Untersuchung speziell für Bayern lohne. Vor allem wollte er auch keine Mitsprache Linserts auf Augenhöhe. Dennoch übernahm das Institut dann die Forschungsarbeit, während die Aufgabe der Quellenerschließung die staatlichen Archive Bayerns leisteten. Beide wollten sich nur auf staatliches und kommunales Aktenmaterial stützen, während der Verfolgtenorganisation eine großangelegte Zeitzeugenbefragung vorschwebte. Sie kritisierte den daher den 1977 herausgekommenen ersten Band, eine aus Archivmaterial zusammengestellte Quellensammlung, als einseitig. Sie war überhaupt weniger an einer Erschließung und Dokumentation der Quellen als an einer Darstellung des Arbeiterwiderstandes interessiert. Aber auch der Zeithistoriker Lutz Niethammer, Begründer der „oral history“ in Deutschland, sah eine apologetische Tendenz. In den folgenden Bänden waren dann aber ausführliche Studien zum Widerstand enthalten. Linsert und die Verfolgtenorganisation waren marginalisiert worden und hatten keinen Einfluss auf das Vorgehen des Instituts nehmen können. Schlemmer sieht in dem von Broszat geforderten „Pathos der Nüchternheit“ einen Mangel an Empathie, gepaart mit akademischer Überheblichkeit. Dem wäre aber entgegenzuhalten, dass der Geisteswissenschaftler ebenso Distanz gegenüber seinem Gegenstand braucht, wie der operierende Chirurg gegenüber dem Patienten und dass auch bei wissenschaftlicher Arbeit zu viele Köche den Brei verderben. Auffällig ist, dass Schlemmer ebenfalls darauf verzichtet hat, Zeitzeugen zu dem Projekt zu befragen, von denen es noch eine ganze Reihe gäbe.

Insgesamt kann man dem Sammelband bescheinigen, dass er nichts schont und nichts beschönigt, natürlich konnte er nicht alles erfassen. Interessant wäre z.B. gewesen, zu hinterfragen, wie es dazu kommen konnte, dass noch 1968 ein zweifelhaftes verharmlosendes Werk wie das von Hermann Weinkauff zur Geschichte der Justiz im Nationalsozialismus in den „Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte“ erscheinen konnte. Es bleibt auch die Grundfrage, ob es nicht von Anfang an sinnvoller gewesen wäre, das Institut und sein Wirken nicht nur in einen nationalen Rahmen zu setzen, sondern, gerade, wenn man seinen damaligen Schwerpunkt im Blick behält, ihm zumindest ein internationales Gremium zur Seite zu stellen.