Aktuelle Rezensionen
Wilhelm Liebhart/Gertrud Maria Rösch/Klaus Wolf (Hg.)
Ludwig Thoma. Bürgerschreck und Bayerndichter
Regensburg 2024, Pustet, 176 Seiten
Rezensiert von Laura Mokrohs
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 02.12.2025
Der als Festgabe zum 95. Geburtstag des Regensburger Literaturwissenschaftlers Bernhard Gajek erschienene Sammelband bietet in sechs Beiträgen, verfasst von Fachkollegen, Schülern und Weggefährten Gajeks, neue Aspekte zu Werk und Rezeption Ludwig Thomas. Im Vorwort wird Gajeks zentrale Bedeutung für die Thoma-Forschung dargelegt. Insbesondere durch seinen Anstoß für Wilhelm Volkerts kommentierte Edition der Hetzartikel Thomas aus dem Miesbacher Anzeiger von 1920/21 aus dem Jahr 1989 löste Gajek einen grundlegenden Wandel in der Einschätzung des Autors aus.
Als erster Beitrag steht Anna-Maria Dillers Aufsatz zu Thomas Jubiläumsgedichten, mit dem gleich die politische Position Thomas in ihrer ganzen Ambivalenz angesprochen wird. Diller widmet sich seinen Gedichten außerhalb des Simplicissimus, die sie einordnet als Gedichte zum Themenkomplex Jagd, Dichtungen auf Schriftstellerfreunde und Persönlichkeiten (u.a. Bismarck, Georg Hirth, Ludwig Ganghofer) sowie Widmungsgedichte, die „aus dem Dunstkreis der erwachten vaterländischen Begeisterung herrührten“ (S. 28).
Klaus Wolf analysiert in seinem Beitrag Thomas Umgang mit dem bayerischen Dialekt. Er warnt davor, die Dialekttexte als Quelle für den Volksdialekt zu verstehen. Thoma nutze „Hochsprache und Mundart in allen nur denkbaren Übergängen und Schattierungen als Mittel literarischer Darstellung und Charakterisierung, mitunter der Milieuschilderung“ (S. 43). Wolf verortet den Umgang Thomas mit Dialekt auch im Vergleich zu Zeitgenossen wie Gerhart Hauptmann, Theodor Storm, Thomas Mann oder bayerischen „Kollegen“ wie Georg Queri, Ludwig Ganghofer, Lena Christ.
Wilhelm Liebhart geht auf „Thomas Affinität zur Geschichte“ ein. Anhand eines der Artikel Thomas aus dem Miesbacher Anzeiger arbeitet er heraus, dass Thoma „eine tiefe Abneigung“ gegenüber Berlin und „der jungen Demokratie“ zeige. „Diese Einstellung Thomas durchzieht zusammen mit seinem zunächst verdeckten, nach 1918 aber virulenten Antisemitismus die 167 anonym erschienenen Artikel der Jahre 1920/21 im Miesbacher Anzeiger.“ (S. 51) Dem gegenüber stehe Thomas „positives, bereits nostalgisches Bekenntnis zum Königreich Bayern“ (S. 52), der Prinzregentenzeit und der Ära von König Max II. Joseph.
Nicole Durot begibt sich in ihrem Beitrag auf eine Spurensuche zu Thomas Werk und Person in Frankreich. Während sein eigenes Verhältnis zu Frankreich ambivalent gewesen sei, sei Thoma in französischen Darstellungen zur deutschen Literatur durchaus präsent, insbesondere als „Bayern-Schilderer“ (S. 89). Anhand des Stücks „Die Lokalbahn“ verweist der Beitrag außerdem auf die Schwierigkeit der Übersetzung, ohne „den beabsichtigten Effekt des Dialekts“ (S. 101) zu verlieren und stellt eine Bearbeitung des Stücks von Alphonse Walter auf lothringischem Platt von 2012 vor.
Waldemar Fromm geht auf Oskar Maria Grafs Auseinandersetzung mit Thoma ein, die im Rahmen der Literatur in Bayern „aus der Konkurrenz von Autorschaftsmodellen“ (S. 109) erwachse. Graf beschränke sich anfänglich in Würdigungen auf den frühen Thoma und ordne dessen Erzählweise in religiöse Tradition und volkstümliche Formen ein. Er trenne „das Werk in zwei Phasen, eine liberale und eine verwirrte, die zu korrigieren der frühe Tod Thomas verhindert hätte“ (S. 118). Kritischer werde er erst 1966 in „Gelächter von Außen“ und rücke nun „in der direkten Konkurrenz“ (S. 122) zu Thoma seine eigene Stellung in der Literaturgeschichte zurecht.
Einem weiteren ambivalenten Verhältnis zu Thoma geht Michael Pilz in seinem Beitrag zum Simplicissimus-Redakteur und -Beiträger Peter Scher nach. Während er in den Kriegsjahren beim Simplicissimus „den heftig umstrittenen Kurswechsel der Zeitschrift vom intellektuellen Oppositionsblatt zu einem nationalistischen Sprachrohr der deutschen Kriegspolitik“ (S. 132) unterstütze, stelle Scher sich nach 1918 „auf den Boden der Weimarer Republik“ und distanziere sich von der politischen Haltung seines einstigen Förderers Thoma.
Der Band schließt mit Gertrud Maria Röschs Würdigung von Gajeks Lebenswerk, dem „Sammeln, Sichten, Bewahren“ und einem Verzeichnis seiner Veröffentlichungen. Einmal mehr wird hier wie in den Beiträgen Gajeks Herangehensweise deutlich, die problematischen Aspekte in Thomas Schaffen genau zu benennen, seine literarische Produktion aber gleichzeitig als „gültige Leistung“ zu betrachten und der Forschung zu Leben und Werk stets noch neue Aspekte hinzuzufügen. Einzig schade ist, dass im Klappentext des Bandes die Erwähnung der antisemitischen Hetzartikel – anders als in den Beiträgen – umschifft wird. Das Cover des Bandes, mit der Karikatur „Ludwig Thoma: Pegasus Bavaricus“ von Hans Reiser aus dem Jahr 2021 rundet die Darstellung der Ambivalenz von Thomas Werk visuell ab.