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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Michael Krüger/Markwart Herzog (Hg.)

Schwimmen und Baden in Geschichte, Kultur und Gesellschaft. Ergebnisse des 10. Symposiums der Deutschen Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sportarchiven und Sportsammlungen e. V. (DAGS) sowie der 16. Irseer sporthistorischen Konferenz vom 20. bis 22. Mai 2022 in Irsee

Hildesheim 2024, Arete, 240 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-96423-119-2


Rezensiert von Bernd Wedemeyer-Kolwe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.10.2025

Die akademische respektive professionelle klassische Sportgeschichte ist institutionell im Sinkflug begriffen. Nachdem an etlichen universitären Instituten für Sportwissenschaft, zu deren Teildisziplinen immer auch das Fach „Sportgeschichte“ gehört hat, nach und nach die entsprechenden Lehrstühle gestrichen wurden und Sportgeschichte selbst vom Mittelbau nur noch selten unterrichtet wird, hat sich an den Universitäten eine eklatante Leerstelle gebildet, die auch von den gelegentlichen sporthistorischen Veranstaltungsangeboten der klassischen Geschichtswissenschaft nicht ausreichend gefüllt werden kann. Mehr und mehr nehmen sich daher außeruniversitäre, gleichwohl durch professionelle Fachleute vertretene Institutionen des Themas an. Die grundlegende außeruniversitäre Dachorganisation für Sportgeschichte seit über 20 Jahren ist die DAGS, die Arbeitsgemeinschaft für Sportmuseen, Sportarchive und Sportsammlungen, in der die wesentlichen außeruniversitären sporthistorischen deutschen Institutionen vertreten sind und deren Vorstand professionelle Fachleute für Sportgeschichte aufweist, von denen nicht wenige dem Universitätsmilieu entstammen.

Unter anderem organisiert die DAGS seit Jahrzehnten Fachsymposien zu verschiedenen Themen der Sportgeschichte und kooperiert dabei mit wechselnden Partnern; einer davon ist beziehungsweise war bis zu seinem Ruhestand der Direktor der Schwabenakademie im Kloster Irsee, Markwart Herzog, der in der Vergangenheit zahlreiche fundierte Veranstaltungen zur Geschichte des Sports angeregt und durchgeführt hat. So war die gemeinsam organisierte Tagung zur Geschichte des Schwimmens und Badens im Mai 2022 ebenso das 10. Symposium der DAGS wie auch die 16. Irseer sporthistorische Konferenz.

Das Symposium selbst hatte so viel Zulauf – auch aus dem Ausland –, dass die beiden Herausgeber Markwart Herzog und Michael Krüger – bis zu seinem Ruhestand Professor für Sportpädagogik und Sportgeschichte an der Universität Münster und aktueller Vorsitzender der DAGS – die vielen Beiträge auf zwei Bände aufteilen mussten. Denn das Thema betraf nicht nur die Sportgeschichte im engeren Sinn, sondern berührte auch fächerübergreifende Aspekte wie „die Wasserrettung […], Schwimmpädagogik, Badekleidung und Nacktheit […], Baden und Schwimmen in Kunst, Literatur und Wissenschaft, die Bau- und Architekturgeschichte von Bädern und Schwimmhallen, die Bedeutung des Bäderwesens für Freizeit, Kurtourismus und Militär“ (13) und vieles mehr. Um den vielen Texten und Aspekten – auch im inhaltlichen Zusammenhang – gerecht zu werden, wurden die spezifisch sporthistorischen Beiträge in einem Sonderband der Zeitschrift „Stadion“ veröffentlicht, während die eher kulturgeschichtlichen Aufsätze in einem speziellen DAGS-Tagungsband zusammengefasst wurden.

Die zehn Aufsätze des kulturhistorisch orientierten Sammelbandes sind daher nicht im engeren Sinne als Sportgeschichte zu verstehen, gleichwohl behandeln sie Thematiken einer Kulturgeschichte unter sporthistorischen Aspekten. Dabei befasst sich der erste von drei Abschnitten des Bandes mit literarischen und naturbezogenen Zugriffen auf Baden und Schwimmen. Neben Textanalysen zu Wasser- und Naturmetaphern in literarischen und autobiografischen Arbeiten rückt in dem Beitrag von Anne-Kathrin Kilg-Meyer die in der Sportgeschichte regelmäßig fokussierte Schwimmerin Gertrude Ederle (1905–2003) in den Mittelpunkt; Ederle eignet sich als Pionierin des Frauenschwimmsports – unter anderem überquerte sie als erste Frau 1926 den Ärmelkanal und war Olympiamedaillengewinnerin und Weltrekordhalterin – , war zugleich aber auch Badekostümdesignerin und galt aufgrund ihres unabhängigen Lebensstils als eine der Vorkämpferinnen für Frauenrechte.

Einen ganz anderen, bislang historisch unterrepräsentierten Aspekt des Themas Schwimmen greifen Harald Jatzke und Sebastian Knoll-Jung mit ihren beiden Beiträgen zur Geschichte der Wasserrettung und des Unfalltods durch Ertrinken auf. Dabei befasst sich Harald Jatzke mit der Geschichte der organisierten Wasserrettung – im Fokus steht vor allem die 1913 gegründete Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG – inklusive der historischen Entwicklung der Schlepp- und Transporttechniken, der Rettungsschwimmprüfungen und der Wettbewerbe im Rettungsschwimmen, um sich dann mit dem Flächenausbau von Rettungswachdiensten an deutschen Binnen- und Küstengewässern zu befassen, die zeitweise in Zusammenarbeit mit Sporthochschulen, Polizei, Militär und Feuerwehr funktioniert haben. Sebastian Knoll-Jungs Beitrag schließt hier an; er analysiert den sozialgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Schwimmfähigkeit, tödlichen Unfällen, Unfallverhütungsprogrammen und der Gründung von Unfallversicherungen ab 1884. Diese ganz andere Perspektive auf das Thema überrascht mit Bezügen, die man zunächst nicht zusammendenken würde und weist fast prophetisch voraus auf die gegenwärtige Debatte um eine wieder geringer gewordene Schwimmtüchtigkeit der jüngerer Generationen und einer erneut erhöhten Zahl an (tödlichen) Bade- und Schwimmunfällen.

Das dritte Kapitel widmet sich der Architektur von Schwimmstätten. Uta Bräuer referiert die kurze Geschichte des (vergessenen) Schwimmbeckens im Deutschen Stadion Berlin von 1913 bis 1934. Erbaut für die – aufgrund des Weltkrieges ausgefallenen – Olympischen Spiele 1916 in Berlin, wurde das architektonisch an antikisierenden Elementen ausgerichtete Schwimmbecken für Wett- und Leistungsschwimmen sowie für Lehr- und Übungszwecke verwendet. 1934 wurde das Schwimmbecken abgerissen, da es den neuen Machthabern nicht repräsentativ genug erschien. Der anschließende Beitrag von Stefan Zimmermann befasst sich mit dem Bäderbau der Nachkriegszeit im ländlichen Raum, hier Harburg, und zeigt daran exemplarisch, wie die junge Bundesrepublik moderne Sport- und Freizeitkultur mit aktueller Architektur verknüpft hat. Der Abschlussaufsatz von Lars Laurenz führt historisch noch einmal zurück in die große Zeit der Seebäder um 1900 und stellt die Seebrücken in den Mittelpunkt, die neben ihrer Primärfunktion als Anlegestelle zentrale Orte für Freizeit und Unterhaltung waren und als Begegnungsstätten und Touristenattraktionen fungierten.

Der Band besticht durch seine ganz anderen, häufig überraschenden Blickwinkel auf das historische Thema Schwimmen und Baden. Paradigmatisch wird einleuchtend gezeigt, welche erweiterten Forschungsperspektiven sich bei interdisziplinären Zugängen ergeben können und wie wichtig es ist, über den Tellerrand hinauszublicken.